piwik no script img

Sinkende SektverkäufeZukunft nicht so prickelnd

Alexandra Hilpert
Kommentar von Alexandra Hilpert

Seit Jahren sinkt der Sekt-Absatz in Deutschland. Das liegt nicht nur am verstaubten Image des Schaumweins, sondern auch an der gesellschaftlichen Stimmung.

Dass man mit Sekt verstaubte Traditionen begießt, hat ihn selbst zu einer solchen gemacht Foto: serienlicht/imago

W as haben Ren­tne­r:in­nen im ICE, Brunchgäste, Jura-Studis und Silvester-Feiernde gemeinsam? Auf ihren Schultern lastet mutmaßlich das Fortbestehen der deutschen Schaumweinindustrie. Oder zumindest das, was davon noch übrig ist. Denn der Sektabsatz sinkt seit Jahren. Laut dem Statistischen Bundesamt ist er zwischen 2013 und 2023 um 17 Prozent zurückgegangen: von 46 auf 37 Gläser pro Jahr.

Wen wundert’s? Viele Anlässe, die früher gefeiert wurden, sind heute eher belastend. Ihr freut euch über euren Bachelor-Abschluss? Na, wartet mal ab, wie sich der Wechsel von der Studi-Bubble in die von Boomern und Männern angeführte Arbeitswelt anfühlt. Ihr freut euch, endlich in Rente zu gehen? Willkommen in der baldigen Altersarmut! Die Stimmung in der Welt ist gedrückt. Niemand mag auf eine Zukunft mit Rechtsruck, Schuldenbremse und Klimakrise anstoßen.

Hinzu kommt, dass Frustsaufen out ist, auch weil junge Menschen gerne die Kontrolle behalten. Der Alkoholkonsum geht insgesamt zurück: Pro Jahr wurden 2023 16 Liter weniger Bier getrunken als 2013 und 2 Liter weniger Wein als 2016.

Höhepunkt lahmer Partys

Den Sekt trifft es vielleicht besonders hart, weil er einfach uncool ist. Dass man mit ihm verstaubte Traditionen begießt, hat ihn selbst zu einer solchen gemacht. Partys, bei denen Sekt fließt, sind in der Regel nur in dem Moment aufregend, in dem ein Korken gegen die Decke kracht. Die vornehmen filigranen Gläser gehen dabei womöglich direkt kaputt und dank Inflation kann sich niemand neue leisten. Und Sektglaspyramiden sind zwar schick, aber auch bonzig und somit cringe.

Sekt symbolisiert Verschwendung. Und die ist in Zeiten, in denen wir in Deutschland dreimal mehr Erden verbrauchen, als wir sollten, nicht zukunftsfähig.

Was stattdessen cool ist: alkoholfreies Bier. Dessen Produktion hat sich seit 2013 etwa verdoppelt. Und im Gegensatz zu Sekt ätzt es einem nicht die komplette Mundhöhle mit Kohlen- und Weinsäure weg.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Alexandra Hilpert
Redakteurin
Hat in Leipzig Journalismus studiert und ist seit 2022 fest bei der taz, aktuell im Online-Ressort als CvD und Nachrichtenchefin. Schreibt am liebsten über Wissenschaft, Technik und Gesellschaft, unter anderem in ihrer Kolumne Zockerzecke.
Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • Wir haben einfach das feiern verlernt.



    Jeder definiert sich heute nicht mehr über Freude, Ausgelassenheit und Überschwang sondern nur noch über seine Befindlichkeiten. Zur Auswahl, bitte im Kopf fortsetzen...



    Mein Magen ...



    Alkohol ist Gift ...



    Ich muss noch Autofahren...



    Die Lage der Umwelt ...



    Kriege überall und ihr wollt feiern...



    Ihr wart nicht gut genug, deshalb keine Feier heute...

  • Ich hab noch nen anderen Grund: Sekt schmeckt einfach Widerlich und es gibt hunderte, wenn nicht tausende Alternativen die besser schmecken.



    Und da ist schon wieder dieses Wort: Boomer......

    • @PartyChampignons:

      Kein Boomer (fast: Millenial), aber mir geht es eher bei Prosecco, Frizzante und Spumante so. Cremant geht noch, Champagner überhaupt nicht. Am Besten ist spanischer Cava. Aber irgendwie schlürft man das Zeug trotzdem nur an Geburtstagen und zu Silvester.

  • Anscheinend geht es der Welt schlechter seitdem sie weniger trinkt.

  • Traditionell gedenken wir der Gefahr des Nichtprickelns immer mit einem Stoßseufzer: "Früher war mehr Lametta!" (Opa Hoppenstedt)

    Manchmal ergeben sich daraus erbauliche Diskussionen um die vielen Luxusprobleme die es Heutzutage gibt und ob das schon Leiden darstellt wenn Kokainuser vor Zahnfleischschmerzen nicht mehr in ihren Burger King Hamburger beißen können. Aber am Ende ist man sich eigentlich immer einig dass kein Schwein Champagner kaufen muss, da Cremant sowieso um Längen günstiger und genau so lecker ist und dass spanischer Cava von Freixenet oder ein ALDI-Prosecco aus Italien da auch fast dran kommt und dass es im absoluten Notfall auch noch Rotkäppchen gibt.

    Wahrscheinlich sind wir dann doch eher Alle wohlstandsverwahrlost.

    Prost und besten Rutsch! :)

  • Ist doch mal eine gute Nachricht.



    Ich trink seit ein paar Jahren keinen Tropfen mehr, nehme Alkohol höchstens noch in Pralinen Form auf, und hab festgestellt das selbst nur hin und wieder etwas trinken einen offenbar doch etwas verändert.



    Nehmt man das Gift ne Weile nicht zu sich, wird man ruhiger und bedachter. Man muss sich viel seltener für irgendeine Aussage entschuldigen und gerät auch ganz allgemein eher kaum bis gar nicht mehr in peinliche Situationen.