Jubiläumskolumne: Drei Jahre friedlich-lustvolles Anrempeln
Unsere Autorin feiert den Geburtstag unserer Kolumne und fragt dabei: Wie streitet man mit Stil? Welche Texte haben unerwarteterweise angerempelt?
S eit drei Jahren gibt es diese Kolumne: Unser kleiner Moshpit hier feiert Geburtstag. „Diskurspogo“ entstand aus dem Wunsch nach Bubble-übergreifendem linken Diskurs. Ich war auf der Suche nach Verbindung durch Auseinandersetzung – und wollte mit „Diskurspogo“ einen Raum zum freundlich-lustvollen Anrempeln schaffen, auch wenn ich dabei selbst ins Schwitzen komme.
Ein harter Tanz unter Genoss*innen. Nazis müssen draußen bleiben. Das heißt: Es werden keine rechten Talking Points aufgegriffen und es wird sich nicht an Provokationen abgearbeitet von Leuten, mit denen wir sonst auch niemals die Tanzfläche teilen würden. Denn es bleibt zwar immer wichtig, Menschenverachtung und rechten Positionen zu widersprechen. Doch ohne eigene Themen, Gespräche über Strategien, solidarische Selbstkritik und gegenseitigen Zuspruch kommen wir auch nicht weiter.
Was ich in meinem Jubiläumsrückblick gleich sagen kann: Das ist mir nicht immer gelungen. Manchmal hat mich dann doch etwas direkt zum Kolumnentag so aufgewühlt, dass ich in den Reaktionsmodus gefallen bin.
Ich habe viel gelernt, aber noch zu wenig verstanden. Über mich weiß ich jetzt, dass ich ein Deadline-Typ bin. Wenn ich es schaffe, die Kolumne einen Tag vor Abgabe fertig zu haben, schreibe ich eine Stunde, bevor sie bei der Redaktion sein soll, doch noch mal alles um und muss mich für die Verspätung entschuldigen.
Die Reaktionen hauen mich fast um
Was ich immer noch nicht weiß, ist, welche Themen wie viel Aufmerksamkeit ziehen. Manchmal schreibe ich einen Text, von dem ich denke, dass alle auf ihn gewartet haben, und es interessiert niemanden so richtig. Manchmal schreibe ich einen vermeintlichen Nischentext, und die Reaktionen hauen mich fast um. Wenn ich merke, dass ich gerade nicht deep genug sein kann, schreibe ich über ein spielerisches Thema, von dem ich denke, dass es niemanden wirklich verletzten kann.
Wer gerade keine Körperbeherrschung hat, sollte sich nicht mitten ins Moshpit wagen. Ich hätte nie gedacht, dass ich mit einem lockeren Text über das Siezen bei vielen Menschen blaue Flecken hinterlasse. Auch Witze machen wird immer komplizierter: Das Thema Humor kriegt eine eigene Kolumne.
Den meisten Hass gibt es für irgendwas mit Feminismus. Ich meine mit „Hass“ auch nicht Kritik, sondern diese „Du bist unfickbar/Dich sollte man vergewaltigen“-Messages.
Meine schönste Erfahrung waren die Reaktionen auf „Hört uns zu und haltet uns aus“. Normalerweise danken mir diejenigen, deren Positionen ich verteidige. Hier aber haben mir viele geschrieben, wie dankbar sie für den Perspektivwechsel sind und wie sie versuchen, Aktionen und Veranstaltungen inklusiver zu gestalten. Das Konzept Verbindung durch Auseinandersetzung ist aufgegangen.
Mehr Mut
Ich denke beim Schreiben nie daran, wen ich aufregen möchte. Sondern nur daran, wen ich zum Lachen bringen, zum Nachdenken anregen oder trösten könnte. Selbstkritik verbindet.
Für das nächste Kolumnenjahr wünsche ich mir selbst mehr Mut zu heiklen Themen und mehr Lust am Rempeln. Und dem Diskurs wünsche ich entspanntes Tanzen. Herzliches Austeilen und würdevolles Einstecken. Nicht jeder, der in einem Punkt nicht deine Meinung teilt, wird zum Feind. Etwas zu hinterfragen, ist nicht unsolidarisch. Ein Witz, über den ich gerade nicht lachen kann, ist nicht automatisch problematisch.
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