Silvesterrandale in Berlin: Fahndung läuft, Prävention hakt
Die Polizei sucht Verdächtige aus der Silvesternacht. Maßnahmen gegen Jugendgewalt lassen auf sich warten - und sind auf sieben Bezirke beschränkt.
Aber was ist aus den 29 Maßnahmen zur Prävention von Jugendgewalt geworden? Diese hatte eine Expertenkommission auf Betreiben der damaligen Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) im Februar ausgearbeitet. Hauke Cordts, Sprecher der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie, erklärte dazu auf taz-Nachfrage: „Das Maßnahmenpaket befindet sich derzeit noch in einer intensiven Abstimmung bei den Gremien zwischen der Senats- und der Bezirksebene.“ Grund für die Verzögerung sei eine veränderte Ressortzuweisung des neuen Berliner Senats.
Rund 20 Millionen Euro für das Jahr 2023 will der Senat zur Bekämpfung von Jugendgewalt bereitstellen. Das war das Ergebnis eines „Gipfels gegen Jugendgewalt“, der Anfang des Jahres zweimal getagt hatte. Für 2024 wurde ein Bedarf von 70 Millionen Euro ermittelt. 29 Maßnahmen wurden beschlossen. Zugutekommen sollen die Mittel vier Bereichen: Eltern- und Schulsozialarbeit (24,6 Millionen), Jugendsozialarbeit (22 Millionen), Starke Stadtteile und Orte für Jugendliche (41 Millionen) sowie Stärkung der Strafverfolgung durch sieben zusätzliche Stellen bei der Staatsanwaltschaft (2,2 Millionen).
Die Haushaltsberatungen sollen im Juni stattfinden. Erst wenn die Mittel vom Abgeordnetenhaus und Senat bewilligt sind, können sie in den Ausbau der Präventionsmaßnahmen investiert werden.
Maßnahmen nur in sieben Bezirken
Beschlossen ist offenbar aber schon, dass nur sieben der zwölf Berliner Bezirke in den Genuss der Sonderförderung kommen sollen. Das berichtet der Jugendstadtrat von Charlottenburg-Wilmersdorf, Detlef Wagner, der taz. „Wütend macht mich das“, schimpft er. Steglitz-Zehlendorf, Tempelhof-Schöneberg, Pankow, Köpenick und Charlottenburg-Wilmersdorf gingen leer aus. „Wir bekommen keinen einzigen Cent.“ Dabei sei es in der Silvesternacht auch in Charlottenburg-Wilmersdorf zu Gewaltausbrüchen gekommen, hätten Autos gebrannt. „Egal ob sie Ali oder Klaus heißen – die sogenannten erlebnisorientierten Jugendlichen gibt es auch bei uns“, sagt Wagner.
Die Sondermittel seien bezirksgebunden, erklärte Wagner das Prozedere. Auch landesweit agierende Projekte wie Gangway, zuständig für Straßensozialarbeit, dürften die Mittel nur für Maßnahmen in dem Bezirk einsetzen, der die Förderung erhalte. „Die Bezirke geben sie dann unter dieser Prämisse an die Freien Träger weiter“, sagt Wagner.
Gleichzeitig warnte der Jugendstadtrat vor allzu großen Erwartungen mit Blick auf das kommende Silvester. Es werde dauern, bis der Ausbau der Präventionsmaßnahmen Früchte trage.
Benjamin Jendro, Sprecher der Gewerkschaft der Polizei, sieht das ähnlich: Nachhaltige Prävention, so seine Erfahrung, zahle sich erst nach zehn Jahren aus. „Aber wir sollten nicht zehn Jahre warten, bis man anfängt“, so Jendro.
Noch keine konkreten Maßnahmen
Aber was genau ist eigentlich geplant? Nachfragen der taz bei Projekten, die im Maßnahmenpapier als mögliche Zuwendungsempfänger genannt sind, scheitern daran, dass sich derzeit niemand öffentlich äußern möchte. Und Neuköllns neue Jugendstadträtin Sarah Nagel (Linke) reagiert noch nicht einmal auf die Bitte der taz um Aufklärung. Neukölln gehört zu den Bezirken, die Silvester Schauplatz von heftigen Ausschreitungen waren. Nagels Vorgänger Falko Liecke (CDU), in der Vergangenheit bekannt durch offene Worte, ist jetzt Jugendstaatssekretär unter der neuen Jugend- und Schulsenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU). Die Maßnahmen zur Prävention von Jugendgewalt hätten für ihn „absolute Top-Priorität“, sagte Liecke letzte Woche zum Tagesspiegel.
Bestätigt wurde aus Kreisen der Senatsjugendverwaltung gegenüber der taz nur das: Das Landesprogramm der Stadtteilmütter – auch in dem Maßnahmenkatalog gelistet – wird von derzeit 210 Stellen um 30 weitere Stellen aufgestockt. Dass das vor den Haushaltsberatungen mit Bestimmtheit gesagt werden kann, liegt daran, dass in den Vorjahren ein kontinuierlicher Stellenaufwuchs bei den Stadtteilmüttern beschlossen worden ist.
Auch Workshops mit der Feuerwehr sollen laut Maßnahmenpapier angeboten werden, mit dem Ziel, Jugendlichen Respekt gegenüber den Rettungskräften zu vermitteln. Ein Feuerwehrsprecher bestätigte das: Geplant seien etwa Veranstaltungen in Kiezen, damit sich Feuerwehrleute und Bevölkerung kennenlernen könnten.
Öffentlichkeitsfahndung als letztes Mittel
Von den insgesamt 111 Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit den Silvesterkrawallen richten sich 47 gegen unbekannte und 63 gegen bekannte Tatverdächtige, teilte der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Sebastian Büchner, mit. 54 Verfahren hätten Angriffe auf Polizei, Rettungskräfte und Feuerwehr zum Gegenstand. Sechs Strafbefehlsanträge seien inzwischen erfolgt. Zwei davon seien rechtskräftig, beendet mit jeweils 30 Tagessätzen à 30 Euro wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz. 39 Einstellungen seien erfolgt, 37 Verfahren noch offen.
Dass jetzt mit Fotos von der Silvesternacht nach zwei Tatverdächtigen gefahndet wird, begründete Büchner wie folgt: Öffentlichkeitsfahndungen seien stets als „letztes Mittel“ zur Namhaftmachung von Tatverdächtigen vorgesehen. Für diese gelte schließlich die Unschuldsvermutung. Zur Vermeidung einer Stigmatisierung müssten daher zuvor alle anderen möglichen Ermittlungsanhalte erfolglos ausgeschöpft worden sein.
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