Siegeszug der Netbooks: Billig-Rechner krempeln IT-Szene um
Kostengünstige Laptops werden immer populärer. Sie bringen zwar keine hohe Leistung, genügen aber für einfache Anwendungen wie für Internet und Textverarbeitung völlig. Gerade in der Krise.
Muss es immer der schnellste Rechner mit dem größten Bildschirm sein? Immer mehr Nutzer sagen: Nicht unbedingt. Kein Segment der IT boomt deshalb in den letzten Monaten derart stark wie die so genannten Netbooks, kleine tragbare Rechner, von denen die Hersteller versprechen, dass sie alle wichtigen Funktionen hätten, preislich aber bereits für ein paar Hunderter zu haben sind. Ein Spielzeug sind die in dieser Klasse zu bekommenden Mini-Maschinen inzwischen wirklich nicht mehr: Sie bieten alle Standardfunktionen aktueller PCs - haben aber langsamere Hauptprozessoren und kleinere Displays.
Nicht, dass die Billig-Laptops nur Vorteile hätten. Ihre technische Ausstattung ist wie erwähnt betont minimalistisch gehalten und auf Standardaufgaben wie Textverarbeitung, Surfen im Web (mit eingebautem UMTS-Modem oder per WLAN) oder den Genuss von Videos und Musik abgestimmt. Wer hier versucht, das neueste Actionspiel laufen zu lassen, scheitert schon bei der Installation.
Hinzu kommt, dass man genau aufpassen muss, was für eine Maschine man kauft: Die ganz billigen Geräte ohne Festplatte sind zwar stromsparend (manches Modell hält sieben Stunden durch), haben dafür aber wenig Platz für eigene Daten. Ist zu wenig Hauptspeicher verbaut oder der Grafikchip gänzlich von gestern, macht nicht einmal das Ansehen einfacher Flash-Filmchen auf YouTube Freude. Und auch Bildschirm und Tastatur sind nicht immer Top-Qualität und wirklich nutzbar - bei Preisen ab 300 Euro ja eigentlich kein Wunder.
Klar ist aber: Das Netbook-Business ist inzwischen ein Bombengeschäft. In den nächsten Jahren sollen sich die Verkäufe auf fast 150 Millionen Stück summieren, heißt es in einem Marktforschungsbericht des IT-Beratungsunternehmens ABI Research. In diesem Jahr soll die Rechnerklasse mit Bildschirmgrößen von 10 Zoll oder weniger bereits Verkaufszahlen von bis zu 35 Millionen Geräten aufweisen.
Der Software-Konzern Microsoft spürt das bereits. Statt dem teuren aktuellen Windows-Betriebssystem fragen die Hersteller immer öfter vermeintlich alte Technik nach: Das bereits 2001 erschienene XP läuft ausreichend flott auf den verhältnismäßig schwachbrüstigen Netbooks, Vista dagegen wäre gar nicht lauffähig. Andere Hersteller verzichten lieber ganz auf Microsoft und installieren Linux. Der Verkauf von Standard-PCs ging unterdessen im letzten Quartal 2008 für große Hersteller besonders in den USA teils dramatisch zurück. Die Kunden schlossen ihre Brieftaschen für alles, was ihnen zu teuer erscheint.
Firmen wie Apple, deren Preisliste tragbarer Rechner erst bei knapp unter 1000 Euro losgeht, spüren den Druck der neuen Billigklasse bereits. Auch wenn Tim Cook, oberster Manager der Marke mit dem Apfel direkt hinter Firmenboss Steve Jobs, kürzlich vor Analysten meinte, man sehe in Netbooks "derzeit noch kein Geschäft". "Wir machen uns Gedanken dazu, sind aber noch zu keiner Entscheidung gekommen. Das Problem ist, dass wir unsere Vorstellungen hier noch nicht umsetzen können", sagte er nur. Oder meint er einfach nur die dicke Marge?
Bei der Konkurrenz, die einst für High-End-Technik stand wie etwa Sony, sind die Überlegungen schon weiter gediehen - erst kürzlich kündigten die Japaner ein frisches, wenn auch vergleichsweise teures, Netbook an. Die Konkurrenz spielt schon voll in dem Sektor mit: Dell, Lenovo oder HP, sie alle haben bereits Geräte im Angebot. Acer gelang es kürzlich sogar, aufgrund der Netbook-Offensive ganz nah an den zweitgrößten PC-Verkäufer der USA, Dell, heranzurücken. Apple wurde so sogar überholt.
Es ist davon auszugehen, dass sich die Marktanteile weiter zugunsten der Hersteller mit den Billig-Rechnern verschieben werden. Die machen dann zwar weniger Gewinn, sind damit aber optimal auf die Wirtschaftskrise vorbereitet. Wer nur 400 Euro für einen neuen schicken Computer bezahlen muss, wird sich das schneller überlegen, als wenn die Preisgestaltung erst bei 1500 Euro beginnt. Zurückdrehen kann die Industrie diesen Trend wohl kaum.
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