Siegertext Wettbewerb Streubomben Laos: Der gefährliche Spielgefährte
In Laos liegen viele Millionen Streubomben-Blindgänger – Überreste aus dem Krieg im angrenzenden Vietnam. Lesen Sie den Siegertext des Streubomben-Schreibwettbewerbs.
Der siebenjährige Dam macht sich an einem sonnigen Tag im August auf, um mit seinen Freunden Hoa und Thien im Wald Honig zu sammeln. "Der frische Honig glitzert so schön im Sonnenlicht", findet Thao, während die goldgelbe Masse Hoas Hände zusammenkleben lässt. Die Kinder scheinen eins mit der Natur zu sein. Ein Bild, das auf die westliche Bevölkerung nostalgisch wirken muss. Für die drei Kinder aus Laos ist es Alltag.
Langsam schleicht sich Hoa von hinten an Thien heran… und Zack! Da läuft Thien auch schon der Honig von der Stirn. Er versucht ihn noch, mit den Händen aufzufangen, doch: Alles vergebens! Nach wenigen Sekunden ist Thien von unten bis oben bekleckert. Hoa und Dam lachen, während Thien bereits einen Racheplan entwickelt hat.
Plötzlich unterbricht Dam die Situation: "Wow, schaut euch das an!". Mit offenen Mündern stehen die Kinder vor einem grauen Etwas, das so groß ist wie eine Coladose. Dams Vater hat ihn häufig vor solchen Behältnissen gewarnt, doch die Versuchung ist zu groß. Das Lächeln aus den Gesichtern der Kinder ist verschwunden. "Dam, leg das bitte wieder hin. Du weißt was unsere Eltern gesagt haben", ermahnt ihn die vorher noch so lustig aufgelegte Hoa. Doch Dam hört nicht: Er starrt auf die graue Dose, als gebe es nur noch ihn und sie. Hoa und Thien weichen zurück. Zum ersten Mal in ihrem Leben haben sie Angst vor ihrem Spielgefährten.
Ein lauter Knall, der noch im nächsten Dorf zu hören ist, erschüttert den Boden.
Wo vorher Honig war, läuft nun eine Träne über Thiens Gesicht. Sie fällt langsam auf den staubigen Boden.
Die taz veranstaltete zusammen mit der Nichtregierungsorganisation Handicap International den Schreibwettbewerb "Streubomben in Laos". Lesen Sie auf taz.de die besten Texte. Der vorliegende Text ist der Siegertext des Wettbewerbs - der Sieger, Jan-Hendrik Mautsch, wird nun gemeinsam mit Vertretern von Handicap International und einem taz-Autor nach Laos reisen. Besonders überzeugte die Jury die Idee, Honig als Gegenmetapher zur Streubombe auszuwählen.
In Laos liegen 12 – 72 Millionen Streubomben-Blindgänger. Überreste aus dem Krieg im angrenzenden Vietnam.
Die Streubombe kann nicht gezielt eingesetzt werden. Sie "verstreut" nach Abwurf aus Flugzeug oder Raketenwerfer bis zu 100 Submunitionen. Viele dieser Bomben explodieren nicht beim Aufprall auf den Boden. Oft liegt die Fehlerrate bei 40, manchmal auch bei 100 Prozent. Doch: Die Munition bleibt scharf. Um die Bomben auszulösen, genügt die kleinste Berührung. Ursprünglich wollten die USA damit Infrastruktur oder Militäreinrichtungen zerstören bzw. unzugänglich machen - heute sind sie gefährliche Spielgefährten für Kinder wie Dam.
Offiziellen Zahlen zufolge starben bisher 13.306 Menschen weltweit auf Grund von Streubomben. Experten vermuten jedoch 100 000 Tote und mehr. Meist Zivilisten, davon 27 Prozent Kinder. Besonders stark ist die Bedrohung in Laos. Jedes Zweite Opfer von Streubomben stirbt, wer überlebt fristet oftmals ein unwürdiges Dasein: völlig verstümmelt.
Laos ist ein armes Land. Das Bruttoinlandsprodukt pro Jahr und Einwohner liegt bei gerade einmal 580 Dollar. Viele wissen nichts von der Bedrohung und haben erst Recht nicht die Möglichkeiten, etwas gegen Streubomben zu unternehmen.
Doch es gibt auch Lichtblicke: Zu ihnen gehören die Helfer von Handicap International. Sie haben sich zum Ziel gesetzt, die Welt von Streubomben zu befreien: unter Einsatz des eigenen Lebens befreien sie große Teile Laos von Streubomben, klären die Bevölkerung auf und versorgen Streubombenopfer wie Dam. Seit dem Jahr 2000 sank die Anzahl der Streubombenopfer erheblich. Auch weltweit tut sich etwas: Bereits 94 Staaten haben den Oslo-Vertrag für ein Verbot von Streubomben unterzeichnet, 34 darunter Deutschland sogar ratifiziert. Am 01. August 2010 ist er inkraft getreten. Im Gebiet der Nicht-Unterzeichner-Staaten, wie beispielsweise den USA, dürfen sie trotzdem weiter verwendet werden.
Dank Handicap International hat Dam das Lachen wieder gefunden und ist vollständig rehabilitiert. Ein Einzelfall.
Wie lange noch?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist