Sicherheitstraining an der Ostseeküste: Eine Angel gegen die Panik
Feuer bekämpfen, Kälteschock kurieren: Um auf einem Hubschiff zu arbeiten, absolviert unsere Autorin ein abenteuerliches Training an der Ostseeküste.
In fünf Grad kaltem Wasser überlebt man vielleicht 30 Minuten, aber nicht Stunden. Also wurde „Laugi“ Fridthorsson medizinisch untersucht, und siehe da: Laugi hat unter der Haut eine ungewöhnlich dicke Fettschicht. Auch deswegen hat der Fischer überlebt. Voilà, der Seehundmann.
Ich habe diese Fettschicht nicht. Also muss ich beim Bosiet-Training lernen, wie man mit Unterkühlung umgeht. Bosiet heißt „Basic Offshore Safety Induction and Emergency Training“. Achim, der Trainer, erklärt: Leicht unterkühlte Menschen zittern, schwer Unterkühlte nicht mehr, und die ganz schwer Unterkühlten sind kaum zu retten. Schwer Unterkühlte soll man nicht schnell aufwärmen, dann fließt kaltes Blut ins Herz – der sogenannte Bergungstod. Achim kennt Anekdoten, wie doch jemand überlebt, wie der Seehundmann. Ein solches Bosiet-Training müssen alle machen, die auf Offshore-Windkraftanlagen arbeiten, oder auf Gas- und Ölplattformen. Und ich.
Weil ich ein besonderes Ziel habe: Ich darf ein paar Tage auf ein Forschungsschiff, auf dem Atlantik, einige Dutzend Kilometer vor Boston/USA. Ich gehe nicht auf die „Polarstern“, nicht auf die „Sonne“, nicht auf die „Meteor“ – diese prominenten Forschungsschiffe sind wochenlang unterwegs – die Zeit habe ich nicht. Also fahre ich auf die „L/B Robert“. Das ist kein Forschungsschiff, sondern eine Mischung aus Schiff und Plattform, ein Hubschiff, das sich auf dem Meeresboden verankern kann. So was braucht man für Ölbohrungen, Windkraftanlagen – und für Forschungsbohrungen.
Hier, an Neuenglands Küste, gibt es im Meeresboden ein Süßwasservorkommen. Dieses Süßwasser ist noch nie untersucht worden, niemand weiß, wie alt es ist, wie es entstanden ist, in welcher Verbindung es zu Vorkommen an Land steht – man weiß nur seit Langem, dass es da ist. Mit der Expedition sollen erste Daten gefunden werden: Nach 20 Jahren Planung, drei Jahren Vorbereitung, mit viel Geld, ziehen Forscherinnen und Forscher aus 13 Ländern hier Bohrkerne und Wasser aus dem Boden.
Seediensttauglichkeitsprüfung
Es geht um Grundlagen, nicht um Nutzbarkeit, und gesammelt wird mit großer Umsicht – nichts bleibt zurück, schreiben die Forschenden. Die wenige Zentimeter schmalen Brunnen, die gebohrt werden, werden wieder zusammenfallen. Und weil die „L/B Robert“ meist steht und nicht fährt, kommt alle paar Tage ein Schiff mit Leuten und Material hin, deshalb kann ich mit. Und bin ein Teil der Expedition 501 des Tiefseebohrprogramms IODP3.
Als ich zusagte, stellte ich mir vor: einlesen, hinfahren, Forschung gucken, zurück nach Deutschland. Dass allein der Visa-Antrag einen kompletten Tag dauert, weil die USA zwar viel können, aber keine stabile Webseite für Visa-Anträge bauen, weswegen sie alle halbe Minute abstürzt, und allerlei Papierchen herbeigeschafft werden müssen, die bezeugen, dass ich einen guten Grund habe, in die USA zu reisen und auch wieder raus: geschenkt. Aber zu dem Tag kommt noch die Seediensttauglichkeitsprüfung. Und zwei Tage Bosiet.
Die Seediensttauglichkeitsprüfung geht schnell, ein Arzt checkt mich durch. Ob ich ohne Brille noch sehen kann, wo das Boot und wo der Ozean ist. Ob ich einen Bauchnabelbruch habe. Bauchnabelbrüche haben Männer oft, sagt er. Ich nicht. Ob ich sonst Probleme habe. Dann bitte unterschreiben, da wo steht: Unterschrift des Seefahrers. Ich bin jetzt staatlich zertifizierter Seefahrer, Gendern hat in Deutschland noch weiße Flecken.
Warum das alles? Weil da draußen, offshore, niemand ist. Wenn ich auf der Plattform bin, mit den Forscherinnen und Forschern, mit der Crew, dann ist da außer uns nichts. Wir sind allein. Keine Feuerwehr, kein Rettungsdienst, keine Hilfe. Niemand. Nur das Meer mit einem Horizont, der flacher ist als Brandenburg. Alles muss man selber machen, für sich und für die anderen. Helfen, löschen, retten.
Deswegen bringt Achim, früher Maurer, heute Trainer, uns alles Notwendige bei. Achim arbeitet seit ein paar Jahren bei der Industrial Safety Company in Rostock, direkt am Fischereihafen – aus gutem Grund. Es geht nicht nur um Theorie, sondern auch um Praxis – im Wasser.
Aber vor der Wasserpraxis wird gelernt. Unterkühlung. Schutzausrüstung. Feuer löschen. Rettungsring. Wozu wirft man einen Rettungsring? fragt Achim. Damit sich der im Wasser Treibende rettet, oder, Achim?
Falsch. Mag sein, dass er oder sie den Ring erreicht, aber die Realität sieht so aus: Mensch fällt von Bord – und das Schiff tuckert weiter. Der Rettungsring wird also einige Meter entfernt sein, oft zu weit. Warum wirft man ihn trotzdem? Weil man ihn besser sieht als so ein Menschenköpfchen. Weil man dann die Richtung hat, wo das Menschlein schwimmt. Und weil der im Wasser zappelnde Mensch den Wurf sieht und denkt: Zum Glück, die haben mich gesehen.
So geht es den ganzen Tag. Achim fragt, wir haben keine Ahnung. Warum darf man Menschen mit Seekrankheit nicht alleine lassen? Weil sie suizidal sind, so schlimm kann Seekrankheit sein. Warum gibt es auf Rettungsinseln keine Spielkarten mehr, aber dafür eine Angel? Weil bei der Enge und Panik Spieler mit Karten auf seltsame Ideen gekommen sind, wer jetzt Glück hat und wer nicht. Und weil die Angel nervöse Mitreisende beruhigt.
Feuerlöscher zwischen „Möbeln“ suchen
Am zweiten Tag kommt vor dem Wasser das Feuer: Der Brandcontainer ist da. Zwei große blaue Container hintereinander und einer oben drauf, drinnen ein paar Metallkonstruktionen, „Möbel“, nennt Achim die. Wir sollen da rein, vier Leute, es wird eng, stockduster und ist mit Diskorauch vernebelt. Wir sollen drei Feuerlöscher zwischen den „Möbeln“ suchen, die hat Achim versteckt, und dann einen winzigen Ausstieg finden. Nicht panisch werden!
Meine Lösung: Axel. Axel ist Fotograf auf Plattformen und Schiffen und macht alle vier Jahre eine kurze Wiederholung des Trainings, das ist vorgeschrieben. Ein lukratives Geschäft, mich kostet das Training 1.000 Euro, Refresher wie er zahlen rund die Hälfte. Axel kennt sich in den Containern aus, das merkt man, wir drei halten uns alle an ihn, und vor allem: an ihm fest, in einer Kette. Wir tasten uns durch die dunklen Container, ich finde einen der Feuerlöscher und bin stolz. Auf der „L/B Robert“ stehen viele Container mit Laboren.
Sicherheit ist neben Forschung das Wichtigste bei der Expedition 501. Es ist nicht viel Platz, das erfordert Disziplin. Immerhin sind es rund 50 Menschen, die hier in zwei Schichten, von 12 bis 24 Uhr und von 24 bis 12 Uhr, arbeiten, schlafen, essen, duschen und manchmal feiern. Steht alles im Expeditionsblog, und den Daily Reports. Es sieht toll aus. Bisher ist nichts passiert.
Nach der Feuerlöschersuche dürfen wir löschen, mit Feuerlöscher und mit Wasser. Achim öffnet die Türen des Containers, dann brennen die „Möbel“, weil Achim das Feuer an- und ausschalten kann, und wir löschen wie verrückt, Probestoß, löschen, und wenn es fiept, ist der Feuerlöscher alle. Beim Wasserschlauch – ein richtiger Feuerwehrschlauch, nicht so eine Gartennudel – treibt der Druck heftig nach hinten, deswegen steht hinter mir jemand und hält gegen. Ich ahne, warum eine Million Menschen in Deutschland bei der Freiwilligen Feuerwehr sind.
Der „boat transfer“
Bevor es ins Wasser geht, kommt meine Lieblingsaufgabe: senkrecht zehn Meter eine Leiter runter auf ein Boot und wieder hoch. Schließlich muss man ja irgendwie üben, wie man vom Zubringer auf ein Boot wechselt, „boat transfer“. Wobei das bei der „L/B Robert“ – die ja auf Stelzen steht – anders ist: Wenn das Versorgungsboot anlegt, besteigen die Neuen einen „Billy Pugh Basket“ – ein an den Seiten offenes Gestell – das an einem Seil mit dem Kran hochgezogen wird.
Und das mit meiner latenten Höhenangst. Auf der Leiter kann ich plötzlich nicht weiterklettern und erstarre, als wenn es helfen würde, sich nicht zu bewegen.
Noch zwei Meter, sagt jemand oben, und ich steige doch hoch. Zum Glück wurde die Anreise mit Helikopter gestrichen, denn dann hätte ich noch ein Huet machen müssen, ein „Helicopter Underwater Escape Training“ – man rettet sich aus einer im Wasser versinkenden Hubschrauberkapsel. Mir blieb schon bei der Vorstellung die Luft weg.
Mittlerweile ist es Mittag und warm, und als wir die orangenen Tauchanzüge anziehen, die Achim zärtlich Teletubbie-Anzüge nennt, ist uns noch wärmer. Die Aussicht, gleich über Bord zu gehen, ist erfrischend. Kurz darauf retten wir erst mal Axel aus dem Wasser, mit einem Jasons Cradle, einer Spezialmatte, dann lassen sich alle von Bord in die Warnow fallen, und wir stellen fest: Mit diesen Anzügen kann man nicht vorwärts schwimmen, sondern nur auf dem Rücken. Wir bilden vorbildlich den Teppich, den Kreis, die Kette und strampeln – denn man soll im Notfall immer schön zusammenbleiben, damit wir gesehen werden.
Und im Ernstfall hoffen, dass der Kanal 16 funktioniert. Kanal 16 ist der internationale Notrufkanal der Schifffahrt, jedes Schiff muss diesen Kanal abhören und Hilfe leisten.
Dann ist es schon vorbei, das Bosiet-Training. Ich bekomme mein Zertifikat und darf jetzt auf Kreuzfahrtschiffen oder Plattformen arbeiten, bin aber laut Stellenanzeigen zu alt. Aber auf die Plattform, das geht. „L/B Robert“, ich komme.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!