Sicherheitslücken bei Sturm auf Kapitol: Warnungen, die keinen erreichten
Der US-Kongress untersucht die Sicherheitslücken vom Sturm aufs Kapitol am 6. Januar. Die Verantwortlichen geben sich gegenseitig die Schuld.
„Auf Basis der uns zur Verfügung gestellten Informationen rechneten wir mit einem erhöhten Gewaltpotenzial um das Kapitol und damit, dass einige der anwesenden Demonstranten bewaffnet sein könnten. Doch keine der Informationen sagte voraus, was letztendlich geschah“, sagte Steven Sund, der ehemalige Leiter der Kapitolpolizei, während der Anhörung im US-Senat am Dienstag.
Neben Sund waren auch die früheren Sicherheitsbeauftragten des US-Kongresses, Michael Stenger und Paul Irving, zur Anhörung vorgeladen. Alle drei legten infolge der dramatischen Ereignisse am 6. Januar, bei denen fünf Menschen ums Leben kamen, ihre Ämter nieder.
Zwar gaben sie während der Anhörung zu, dass die getroffenen Sicherheitsvorkehrungen nicht ausreichend waren, um den Sturm auf das Kapitol zu verhindern, dennoch verteidigten sie ihr Vorgehen und schoben sich gegenseitig die Schuld für die Versäumnisse zu.
Widersprechende Aussagen
So sorgte beispielsweise der genaue zeitliche Ablauf von der Anfrage bis zur Aktivierung der Nationalgarde für widersprüchliche Aussagen. Sund erklärte, dass er um 13.09 Uhr Ortszeit um die Unterstützung der Nationalgarde gebeten habe, doch Irving seinem Ersuchen erst um 14.10 Uhr nachkam. Irving, zu der Zeit verantwortlich für die Sicherheit des Repräsentantenhauses, bestreitet das. Er habe die Anfrage erst um kurz nach 14 Uhr erhalten.
Auch der fehlende Informationsfluss zwischen Bundesbehörden und lokalen Sicherheitsbehörden im Vorfeld der angekündigten Proteste wurde in der Anhörung thematisiert. Wie die Washington Post berichtete, kursierte innerhalb der Bundespolizei FBI bereits einen Tag vor dem Angriff eine Warnung vor möglichen Kriegszuständen in der US-Hauptstadt und einem gewaltsamen Angriff auf das Kapitol. Laut dem Ex-Chef der Kapitolpolizei, Sund, erreichte sie nie seinen Schreibtisch.
Auch die früheren Kongresssicherheitsbeauftragten Irving und Stenger gaben zu Protokoll, diese Warnung nie erhalten zu haben.„Wir haben uns ordnungsgemäß auf eine Massendemonstration mit möglichen Gewaltausschreitungen vorbereitet. Was uns allerdings erwartete, war ein militärisch koordinierter Angriff auf meine Polizisten*innen und die gewaltsame Übernahme des Kongressgebäudes“, sagte Sund.
Washington als Regierungssitz und Hauptstadt stellt die diversen Sicherheitsbehörden vor besondere Herausforderungen. Polizisten*innen der städtischen Polizeibehörde ist es zum Beispiel nicht gestattet, auf dem Kapitolgelände Verhaftungen vorzunehmen, da das Areal der Bundeskontrolle obliegt.
US-Militär bestreitet Darstellung des Polizeichefs
Auch Washingtons Polizei besaß im Vorfeld keinerlei Informationen, die auf einen koordinierten Angriff hingedeutet hätten, sagte der Polizeichef der Stadt, Roberto Contee.
In seiner Aussage vor dem Senatsausschuss zeigte sich Contee schockiert über die zögerliche Vorgehensweise der US-Armee. Er behauptete, dass die Militäroffiziere die Nationalgarde nur zögernd zum Kapitol geschickt hätten. Sie seien vor allem über das „Erscheinungsbild“ besorgt gewesen, so Contee. Das US-Militär bestreitet diese Darstellung.
Und dann war da noch der republikanische Senator Ron Johnson aus Wisconsin. Dieser nutzte die Anhörung, um der Verschwörungstheorie eines „False Flag“-Events Nachdruck zu verleihen. Demnach hätten gar nicht Trump-Anhänger, sondern verkleidete Antifa-Aktivist*innen den Angriff auf das Kapitol durchgeführt. Polizeiberichte sowie die Aussagen der bislang über 250 verhaften Angreifer*innen widerlegen diese These eindeutig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen