Sicherheitslücke in Fukushima: Tag der offenen Tür
Der Stromkonzern Tepco gibt die Zensur und Manipulation von Fotos des AKW zu. Dies sei zur „Sicherung des Nuklearmaterials“ geschehen.
BERLIN taz | Die Manipulation eines Fotos von den Aufräumarbeiten in Fukushima sollte ein Sicherheitsleck in der Anlage vertuschen. „Zur Sicherung von nuklearem Material“ sei ein Foto von Reaktorblock 4 „unterdrückt worden“, bestätigte am Mittwoch der Sprecher der Betreiberfirma Tepco, Yoshikazu Nagai, auf Anfrage der taz.
Die manipulierte Aufnahme in einer Broschüre auf der Homepage des Atomkonzerns wurde inzwischen so beschnitten, dass die fragliche Stelle nicht mehr sichtbar ist. Allerdings habe das Foto mit seinem sensiblen Inhalt „durch ein Versehen“ im Originalzustand fünf Tage auf der Internetseite gestanden, bestätigte Nagai.
Was auf dem Foto zu sehen war, wollte er nicht preisgeben. „Nach unseren Regeln zeigen wir keine Teile der Anlage, die sicherheitsrelevant sind“, sagte der Sprecher. Die Betreiber nuklearer Anlagen müssten sich etwa gegen Sabotage oder Terror-Angriffe schützen. „Dieser Teil der Anlage hätte nie gezeigt werden dürfen. Das war ein Versehen und wir haben das Foto deshalb unterdrückt.“
Ältere Fotos zeigen an der fraglichen Stelle einen offenen Eingang in den Reaktorraum 4. Bis zur Katastrophe im März 2011 führte dort ein überdachter Tunnel in das Gebäude, der inzwischen abgerissen worden ist – das Loch in der Mauer ist aber offenbar geblieben. Experten in Deutschland vermuten dann auch, dass diese offene Stelle im Sicherheitskonzept der Grund für die Manipulation gewesen sein könnte.
„Ungesicherter Zugang“ zum Reaktor
„Das wäre ein ungesicherter Zugang zum Gebäude“, sagt Uwe Stoll, Leitender Ingenieur beim Atomanlagenbauer AREVA und Mitglied der deutschen Reaktorsicherheitskommission. Der mögliche „illegale Zugriff auf Nuklearmaterial“ in einer Atomanlage müsse aber verhindert werden.
Und in den oberen Stockwerken des Reaktorgebäudes 4 lagern immer noch über 1500 Brennstäbe für die Reaktoren, „damit wäre der Weg zu ihnen frei“, sagte Stoll gegenüber der taz. „So ein Foto, das den Zugang zu den Brennelementen zeigt, würden wir in Deutschland auch nicht veröffentlichen.“
Damit wird für Tepco gerade die neue Offenheit des Atomkonzerns zum Problem. Denn das umstrittene Foto stammt aus einer umfangreichen Presseinformation nach einer Inspektion von Reaktor 4.
Der AKW-Block war bei Erdbeben und Tsunami am 11.März 2011 nicht in Betrieb, beherbergt aber laut Tepco in einem Abklingbecken im dritten Stock immer noch 1331 hochradioaktive und 202 schwach strahlende Brennlemente und galt zwischenzeitlich als einsturzgefährdet – was die Gefahr einer weitflächigen Verseuchung nach sich gezogen hätte.
Die Inspektion habe nun ergeben, dass das Gebäude gegen mögliche neue Erdbeben stabilisiert worden sei, sagte Tepco-Sprecher Nagai. Auch seien die ersten zwei Brennelemente probeweise ohne Probleme entfernt worden. Wie ernst die Bedrohung von Nuklearanlagen durch Diebstahl oder Sabotage zu nehmen ist, lässt ein Gutachten des Friedensforschers Otfried Nassauer von 2010 erahnen.
AKWs anfällig gegen Angriffe
Demnach seien nach dem Zerfall der Sowjetunion allein bis 2008 über 1500 Fälle von Nuklearschmuggel bekannt geworden. In den USA habe eine Übung die Anfälligkeit von AKW gegen Angriffe gezeigt; und immer wieder gelinge es Umweltschützern, in die sensiblen Bereiche der Nuklearanlagen vorzudringen.
Für einen „Durchschnittsdieb“ sei die havarierte Anlage in Fukushima allerdings „eher unattraktiv“, meint Sven Dokter von der deutschen Gesellschaft für Reaktorsicherheit. Dafür sei an Block 4 die Strahlung zu hoch, und man könne nicht so einfach etwas mitgehen lassen. „Brennelemente klaut man nicht so einfach“, sagt Dokter. „Dafür braucht man schon einen Castorbehälter“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Migration auf dem Ärmelkanal
Effizienz mit Todesfolge