Sicherheitsgesetz in der Türkei: Polizeistaat vorerst abgewendet
Die Reform des Demonstrationsstrafrechts ist vorerst gestoppt. Der Verzicht auf die Novelle erfolgte offenbar aus Rücksicht auf Verhandlungen des Kurdenkonflikts.
ANKARA afp | Die türkische Regierung hat die Parlamentsberatung über eine umstrittene Reform des Demonstrationsstrafrechtes überraschend gestoppt. Nach mehrwöchigem, teils tumultartigem Streit im Parlament wurden die noch nicht beschlossenen Teile des Sicherheitsgesetzes in einen Ausschuss der Volksvertretung zurückverwiesen, wie die Nachrichtenagentur Anadolu am Freitag berichtete. Der zumindest vorläufige Verzicht auf die Novelle, die der Polizei zusätzliche Vollmachten einräumen soll, erfolgte demnach offenbar aus Rücksicht auf die Verhandlungen über eine Beilegung des Kurdenkonflikts.
Das neue Demonstrationsstrafrecht soll nach dem Willen der Regierung von Ministerpräsident Ahmet Davutoglu die Befugnisse der Polizei bei Festnahmen, Durchsuchungen und beim Schusswaffengebrauch erweitern. Kritiker beschreiben die Maßnahmen als Schritt in Richtung eines Polizeistaates. Die Mitte Februar begonnenen Parlamentsberatungen über das 130 Gesetze umfassende Paket waren zeitweise in wüste Schlägereien im Plenum ausgeartet.
Der kürzliche Appell des inhaftierten kurdischen Rebellenchefs Abdullah Öcalan an seine verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), die Waffen niederzulegen, hatte die Diskussion über das Demonstrationsstrafrecht zusätzlich verschärft. Die Kurdenpartei HDP erklärte, Nachbesserungen oder ein gänzlicher Verzicht auf das Gesetzespaket seien die Voraussetzung für eine Einigung zwischen der PKK und dem türkischen Staat auf eine Beilegung des Kurdenkonflikts.
Die Friedensverhandlungen zwischen Öcalan und dem türkischen Staat befinden sich in einer entscheidenden Phase. Einige Beobachter rechnen mit einem Durchbruch noch vor dem kurdischen Frühlingsfest Newroz am 21. März. Die PKK kämpft seit 1984 gegen die Türkei. In dem Krieg haben mehr als 40.000 Menschen ihr Leben verloren.
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