„Sichere Häfen“ in Niedersachsen: Weiter Weg zum sicheren Hafen
Das Bündnis „Niedersachsen zum Sicheren Hafen für Alle“ fordert einen Paradigmenwechsel in der Asylpolitik. Die Landespolitik soll sich positionieren.
Rund 60 Mitglieder stark, von der Menschenrechtsinitiative bis zum Wohlfahrtsverband, diskutiert es darin Themenfelder vom Antirassismus bis zur Geschlechter- und Bildungsgerechtigkeit, stellt Dutzende Einzelforderungen an die Landespolitik, von der Verabschiedung eines Antidiskriminierungsgesetzes bis zur Unterlassung von Abschiebungen.
„Eigentlich ist es schlimm, dass man solche Forderungen überhaupt noch stellen muss“, sagt Muzaffer Öztürkyilmaz zur taz, Referent beim Flüchtlingsrat Niedersachsen, eines der Mitglieder des Bündnisses. „Gleichbehandelnde Teilhabe und Integration müsste längst selbstverständlich sein. Bisher wird allerdings oft nur Kosmetik betrieben.“ Dann erzählt er von Geflüchteten, die seit über drei Jahren in einer Fünf-Bett-Unterkunft leben müssen. Einer der Zustände, die er ändern will.
„Wir brauchen endlich neue Rahmenbedingungen!“, sagt Galina Ortmann der taz, Vorstandsvorsitzende des Niedersächsischen Integrationsrats. Die Wahlprogramme der Parteien betrachtet sie mit Skepsis: „Man darf nicht nur was versprechen, man muss seine Versprechen auch einhalten! Daran hat es oft gefehlt.“
Abschiebungen „so human wie möglich“
Der Forderungskatalog des Bündnisses ist für die hannoversche Parteienlandschaft eine Herausforderung. „Aus unserer Sicht sind die Fragen von Migration und Asyl von besonderer Bedeutung“, sagt Thomas Wille, Sprecher der FDP-Fraktion im Landtag, der taz. „Insbesondere die aktuellen Konflikte weltweit führen uns das immer wieder vor Augen. Es ist daher begrüßenswert, öffentlich über den richtigen Weg zu streiten und zu diskutieren. Dafür kann das Positionspapier ein guter Beitrag sein.“
Muzaffer Öztürkyilmaz, Referent beim Flüchtlingsrat Niedersachsen
Auch die SPD-Landtagsfraktion hat das Bündnispapier gelesen. Sie setze sich „für eine vorausschauende und realistische Migrationspolitik ein“, sagt Petra Tiemann, Sprecherin für Migration und Teilhabe, der taz. „Geflüchtete Menschen finden in Niedersachsen im Rahmen des Asylrechts eine sichere Zuflucht. Wir setzen uns für Erleichterungen beim Familiennachzug ein und wollen Geduldeten den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern.“
„Allen, die nach Deutschland kommen, wollen wir von Beginn an Integrationskurse anbieten“, sagt Tiemann. „Kinder und Jugendliche sollen schnellstmöglich Zugang zu Bildung bekommen.“ Wichtig für die Integration seien die Migrationsberatungsstellen. „Sie leisten vor Ort einen unverzichtbaren Beitrag zur Integration, den wir mit einer verstetigten und auskömmlichen Finanzierung absichern werden.“
Menschen „ohne Bleibeperspektive“ müssten das Land allerdings verlassen. „Dabei setzen wir auf die freiwillige Rückkehr“, sagt Tiemann. „Sollten aufenthaltsbeendende Maßnahmen notwendig werden, geschehen diese so human wie möglich.“
Grüne kritisieren Große Koalition aus SPD und CDU
„Die in dem Bündnispapier formulierten Positionen und Forderungen decken sich weitgehend mit unseren politischen Vorstellungen“, sagt Hans-Joachim Janßen der taz, Landesvorsitzender der Grünen und migrationspolitischer Sprecher. „Wir haben mehr als 15 Anträge in dieser Wahlperiode eingebracht, mit denen wir Forderungen erheben, die sich auch in diesem Papier finden. Einige dieser Anträge wurden bereits durch die Große Koalition abgelehnt, über ein Dutzend jedoch hängt – teilweise seit Jahren – in den Ausschüssen, weil die Große Koalition darauf spekuliert, dass sie so der Diskontinuität am Ende der Wahlperiode verfallen.“
Die Grünen teilen insbesondere die Positionen zur migrations- und asylpolitischen Verantwortungsübernahme: „Die Folgen des Ukraine-Kriegs zeigen, dass bei der Aufnahme von Geflüchteten vieles möglich ist. Das wirft aber auch die Frage auf, warum das nicht ähnlich bei der Aufnahme Geflüchteter aus Syrien, Afghanistan oder anderen Krisengebieten möglich ist.“ Voraussetzung sei ein Umdenken in der niedersächsischen Asylpolitik: „Wir brauchen eine echte Willkommenskultur, die den Geflüchteten Brücken baut.“
Großen Handlungsdruck sieht Janßen im Bereich Bleiberecht: „Einbürgerungen verzögern sich, Identitätskrisen entstehen bei den Betroffenen und ihren Kindern, und in der nächsten Generation setzt sich alles fort, potenziert sich, und Perspektivlosigkeit erzeugt weitere Probleme.“
Die CDU hält sich bedeckt. Ralph Makolla, Sprecher der Landtagsfraktion, gibt gegenüber der taz zu: Das Bündnispapier sei der Fraktion „nicht bekannt“. Danach herrscht Schweigen.
44 Forderungen listet das Papier von „Niedersachsen zum Sicheren Hafen für Alle“. 2027 wird nachzuzählen sein, wie viele davon erfüllt sind.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen