Shoah-Gedenken im Bundestag: Worte der Mahnung
Beim Gedenken an die NS-Opfer im Bundestag greift Bundespräsident Steinmeier die AfD an. Und Israels Staatspräsident lobt Trumps Nahostplan.
Für „alle Demokraten in diesem Haus“, so Steinmeier, sei die Shoah Teil deutscher Identität und „die Auseinandersetzung mit der historischen Schuld eine Selbstverständlichkeit“. Für alle Demokraten – also nicht für Alexander Gauland, der Hitler und die Nazis einst als Vogelschiss in über 1.000 Jahren deutscher Geschichte bezeichnete. Das sagt Steinmeier nicht – aber es ist der deutlich wahrnehmbare Oberton.
Fast alle 709 Parlamentarier sind, was selten passiert, am Mittwochvormittag im Reichstag. Der Termin ist Pflicht, Auschwitz-Gedenken ist Staatsräson. Steinmeiers Rede ist eine Mixtur aus Vergegenwärtigung der Befreiung von Auschwitz am 27. Januar 1945 durch die Rote Armee, von Reflexion und am Ende auch von Appell. Um erstarrte Erinnerungsroutine zu meiden, brauche es „neue Formen“ für Jüngere, mahnt Steinmeier. Die Vergegenwärtigung der Geschichte sei ein Mittel, um der „Verführung des Autoritären“ zu widerstehen.
Steinmeier wird in Sachen Rechtspopulismus noch deutlicher. Die Selbstgewissheit „über die Lehren der Vergangenheit war trügerisch“. Heute würden manche wieder „völkisches, autoritäres Denken als Vision“ anbieten. Der Angriff eines Rechtsterroristen in Halle am jüdischen Versöhnungsfest Jom Kippur, der nur zufällig nicht in einem Massaker in der Synagoge endete, und die Morddrohung gegen einen schwarzen Bundestagsabgeordneten, so Steinmeier, zeigten, dass das Gift des Nationalismus keineswegs verschwunden sei.
Der AfD-Applaus bleibt schütter
Die AfD-Fraktion lässt sich nichts anmerken. Ihr Applaus klingt allerdings etwas schütter. Die Rechtspopulisten sind bei dieser Gedenkstunde in einer Bredouille. Zum einen ist Fremdenfeindschaft ihr politisches Lebenselexier – aber sie buhlen auch um ein Minimum an Reputierlichkeit und vor allen um Israel, das sie als antimuslimischen Vorposten des Westens schätzen.
Mehrfach betont der Bundespräsident in demütigen Formulierungen die Freundschaft zu Israel. Der eigens angereiste israelische Staatspräsident Reuven Rivlin nimmt es mit freundlichem Nicken zur Kenntnis. Das Parlament applaudiert geschlossen. Israel repräsentiert das jüdische Opferkollektiv, das ist Konsens.
Israels Präsident mit doppelter Botschaft
Nach Steinmeier redet Rivlin selbst – der im Ruf steht, ein unkonventioneller Likud-Politiker zu sein. Zu Recht, wie man merkt. Rivlins hebräische Rede wird simultan übersetzt – und hat zwei bemerkenswerte Botschaften. In Halle, sagt Rivlin, wurde nicht nur die Synagoge attackiert. Der Täter tötete danach in einem von Muslimen betriebenen Laden. Rivlin betont, muslimischen Antisemitismus keineswegs herunterspielen zu wollen – aber der aggressive Nationalismus in Europa ziele auf alles Fremde. Die rassistische Verachtung gelte Juden wie Muslimen. Deutschland, „ein Leuchtturm“ der Demokratie, sei der entscheidende Ort der Auseinandersetzung zwischen Liberalen und Populisten. „Wenn Deutschland beim Kampf gegen den Populismus scheitert, wird dieser Kampf überall scheitern“, so der israelische Staatspräsident.
Dieser Aufruf klingt linksliberal, die zweite Botschaft indes wie die eines israelischen Falken. Denn Rivlin wendet sich auch der Außenpolitik zu. Der Iran ziele auf die Auslöschung Israels und müsse daher, „aus der internationalen Gemeinschaft ausgeschlossen“ werden, sagt Rivlin. Diese Forderung ruft nicht nur bei Außenpolitikern wie SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich Stirnrunzeln hervor. Zudem lobt der israelische Staatspräsident Trumps gerade vorgelegten Nahost-Plan, „der beiden Seiten komplexe Zugeständnisse“ abverlange. Auch das ist, angesichts der krassen Einseitigkeit des US-Plans, keine Position, die im Bundestag mehrheitsfähig ist.
Amtsvorgänger Schimon Peres sprach 2010 zum Gedenktag im Bundestag über die NS-Geschichte. Rivlin hält 2020 eine außenpolitische Rede. Eine bemerkenswerte Veränderung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Rücktrittsforderungen gegen Lindner
Der FDP-Chef wünscht sich Disruption
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht