Shitstorm gegen Puppenbordell: Kann die KI auch „nein“ sagen?
Feministinnen laufen Sturm gegen das Puppenbordell Cybrothe, weil es angeblich Gewaltphantantasien erlaubt. Der Inhaber fühlt sich missverstanden.

Es klingt nach dystopischer Fiktion: Im Cybrothel sollen Männer mit Gewaltfantasien blutverschmierte, kindlich wirkende Sexpuppen mit zerrissener Kleidung mieten können. So zumindest lauten die Vorwürfe gegen das weltweit erste immersive Puppenbordell, das derzeit im Zentrum eines feministischen Shitstorms auf TikTok und Instagram steht.
Auslöser ist das kürzlich erschienene Buch The New Age of Sexism: How the AI revolution is Reinventing Misogyny von Laura Bates. Darin beschreibt die britische Aktivistin, wie KI-Technologien ein neues Zeitalter der Frauenfeindlichkeit einläuten – von Deepfake-Pornografie über KI-Freundinnen bis hin zu algorithmisch programmierter Frauenfeindlichkeit. Für ihr Buch reiste Bates auch Undercover in das Cybrothel in Friedrichshain.
Das futuristische Bordell (Englisch: brothel) wurde vor vier Jahren von dem Künstler und Filmemacher Philipp Fussenegger gemeinsam mit dem KI-Experten Matthias Smetana gegründet. Gäste können aus 18 Puppen wählen, jede mit eigenem Namen, Backstory und diversen Features. Die Puppen sind lebensecht gestaltet: mindestens 1,65 Meter groß und rund 40 Kilogramm schwer. Ihre Silikonhaut fühlt sich weich an, die Finger bewegen sich flexibel, Brüste und Po sind fest und schwer. Das Aussehen kann je nach Kundenwunsch angepasst werden – etwa durch wechselbare Köpfe oder verschiedenfarbige Glasaugen.
Vor dem Besuch können Kunden über Chatbots mit den Puppen chatten. Eine sprechende KI-Puppe ist aktuell noch in Entwicklung. Wer ein „echteres“ Erlebnis will, kann so genannte Voice Queens buchen: Echte Frauen, die aus dem Nebenzimmer die Session beobachten, in die Rollen der Puppen schlüpfen und durch ein Mikro mit den Gästen interagieren. Die Preise reichen von 99 Euro für kurze Sessions bis zu 1.450 Euro für Übernachtungen.
Die Aktivistin Laura Bates berichtet, sie habe im Cybrothel eine Puppe mit zerrissener Kleidung angefragt. Diese sei ihr zur Verfügung gestellt worden – ohne Rückfrage. Die ihr zugewiesene Puppe habe zudem eine zerrissene Schamlippe gehabt. Ihr Vorwurf: Das Cybrothel ermögliche es Männern, gewalttätige oder erniedrigende Fantasien unter dem Deckmantel der sexuellen Erkundung auszuleben.
Das Cybrothel weist die Vorwürfe zurück. „Gewaltfantasien sind hier nicht erlaubt, es handelt sich keineswegs um einen rechtsfreien Raum“, sagt Cybrothel-Gründer Fussenegger der taz. Dafür genüge ein Blick auf die Website: In den Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist festgelegt, dass die Puppen sorgfältig zu behandeln sind. Bei Verstößen drohen Hausverbote, Geldstrafen oder strafrechtliche Konsequenzen.
In vier Jahren habe es nur einen Gewaltvorfall gegeben, so Fussenegger – dieser sei vom Cybrothel selbst zur Anzeige gebracht und der Kunde gerichtlich verurteilt worden. In einem offiziellen Statement heißt es: „Wir sehen unsere Verantwortung darin, einen geschützten Raum für bewusste, spielerische und respektvolle sexuelle Selbsterfahrung zu bieten – im Rahmen klarer Regeln und rechtlicher wie ethischer Prinzipien.“
Fussenegger sagt, er gehe davon aus, dass Bates bei ihrem Besuch im Januar 2024 eine Puppe mit zerrissenem Shirt und Strumpfhose erhalten habe. Bestätigen kann er es nicht, aus den Buchungsunterlagen ließe es sich nicht mehr rekonstruieren.
Lene König, ehemalige Aufsichtsrätin bei der Weiberwirtschaft eG, die das Cybrothel aus feministischer Sicht zu ethischen Fragen berät, erklärt: „Ihre Anfrage wurde als ästhetisch-modische Präferenz oder Fetisch gewertet.“ Jeder Fetisch sei erlaubt, solange er nicht gegen das Gesetz verstößt, minderjährige Darstellungen oder Gewalt verherrliche. „Hätte sie zusätzlich Wunden angefragt, wäre der Wunsch nicht erfüllt worden“, versichert sie.
Laura Bates behauptet zudem, dass man im Cybrothel blutüberströmte Puppen anfragen könne. „Das war nie in unserem Angebot“, entgegnet Fussenegger. Sie beziehe sich vermutlich auf die Puppe „Luna“, die im Rollenspiel eine Vampirin darstelle, die Männer überfällt und aussaugt. Für ein Halloween-Special sei sie mit Kunstblut im Mund fotografiert worden. „Ich sehe das aus künstlerischer Sicht und bin davon ausgegangen, dass es klar wäre, dass es nicht ihr eigenes Blut ist“, sagt Fussenegger. Den Vorwurf einer verletzten Schamlippe weist er zurück. Beschädigte Puppen würden sofort ersetzt, so der Gründer.
Anfang der Woche griffen TikTok- Influencer*innen die Kritik am Cybrothel auf, es folgte ein Shitstorm. Die Vorwürfe: Das Puppenbordell verherrliche Gewalt, sei ein „rechtsfreier Raum“ und ein „Bordell für Gewaltfantasien“. Kritiker*innen befürchten, dass dies die Hemmschwelle senke, Gewaltfantasien dann auch im echten Leben auszuüben. Eine Petition mit inzwischen fast 10.000 Unterschriften fordert die Schließung. Die Petitions-Initiatorin wollte sich gegenüber der taz nicht zu ihren Beweggründen äußern.
Kritik kommt vor allem wegen der kindlich wirkenden und hypersexualisierten Puppen. Fussenegger entgegnet: „Es war mir immer wichtig, dass die Puppen nicht kindlich aussehen.“ So sei die Puppe einer volljährigen Person, die nach Kundenmeinung jünger ausgesehen habe, sofort aus dem Angebot genommen worden, um Missverständnissen vorzubeugen.
Die Kunden seien keineswegs Pädophile. „Das Klientel ist breit gefächert, im Durchschnitt Mitte 30-jährige Männer, die sich mit klassischer Prostitution nicht wohlfühlen und nicht gewertet werden wollen“, sagt Fussenegger. Einige kämen auch mit ihren Partner*innen, um gemeinsam neue sexuelle Erfahrungen zu machen. Im Zentrum stehe die Idee, Scham abzubauen und Sexualität angstfrei zu erkunden.
Gleichzeitig räumt Fussenegger ein, dass er die Kritik an den hypersexualisierten Puppenkörpern „absolut nachvollziehen“ könne. Doch er müsse sich an dem bedienen, was auf dem Markt verfügbar ist, Maßanfertigungen seien zu teuer. Lene König, ethische Beraterin des Cybrothels, ergänzt: „Die meisten Puppen werden von cis-hetero Männern kreiert, die ihre Vorstellung von Weiblichkeit produzieren – große Brüste, schmale Taille, junges Aussehen. Wenn Alternativen mit realistischeren Körpermaßen bezahlbar wären, wäre das Cybrothel die ersten, die sie kaufen würden.“
Der Markt für Sextech boomt. Die Nachfrage nach Sexpuppen hat laut dem Onlinehändler Digitec Galaxus im letzten Jahr um 42 Prozent zugenommen. Und mit ihr die Misogynie: von KI-generierten Pornoplattformen, die „underage rape“ prompten, bis zu hypersexualisierten Sexpuppen aus asiatischen Gigafabriken. Gegen große Akteure wie Meta, ChatGPT oder KI-basierte Pornoseiten ist regulatorisch kaum anzukommen – darum trifft die Kritik oft kleinere Projekte, bei denen Verantwortliche klar benennbar sind, wie etwa das Cybrothel.
Das Aussehen der Puppen sei eines der zentralen Themen, das intensiv im feministischen Berater*innenkreis des Cybrothel diskutiert werde, berichtet König. Gleichzeitig sorgen Modelle wie „Bimbo“ – eine übersexualisierte, naive Frauenfigur – oder kopflose Puppen, die die Objektifizierung weiblicher Körper vorantreiben, für Kritik.
Wo beginnt Objektifizierung? Was bedeutet Konsens mit einer Puppe? Solche ethischen Fragen würden regelmäßig im Cybrothel diskutiert, erzählt König. Die Meinungen im Team seien dabei keineswegs einheitlich. Doch als erstes immersives Puppenbordell bewege man sich auf Neuland – ein Regelwerk existiere nicht. Umso wichtiger sei die Auseinandersetzung.
Auch Fussenegger betont: „Es ist völlig legitim, unser Konzept kritisch zu sehen.“ Viele Aspekte könnten missverständlich oder problematisch wirken – er nehme das sehr ernst und arbeite daran. „Aber das muss diskutiert werden.“ Der aktuelle Shitstorm sei keine Diskussion, sondern ein Sturm aus Desinformation: „Aussagen werden aus dem Zusammenhang gerissen und verzerrt, falsche Behauptungen aufgestellt und auf TikTok ungeprüft weiterverbreitet, um gezielt Skandale zu konstruieren.“
Fussenegger kritisiert auch, dass Laura Bates das Cybrothel nicht um eine Stellungnahme gebeten habe. Dieser Sturm „untergräbt die feministische Mission. Wir kämpfen auf der gleichen Seite und haben dasselbe Ziel. Wir haben nur unterschiedliche Ansätze, wie wir diesen Kampf gestalten.“
Im Zentrum des Shitstorms steht nicht nur das Cybrothel selbst. Dahinter steht auch eine größere, teils ideologisch aufgeladene Debatte über Sexarbeit, die auch innerhalb feministischer Kreise umstritten bleibt. Gerade radikale Strömungen wie SWERFs (Sex Work Exclusionary Radical Feminists) lehnen Sexarbeit kategorisch ab. Im Fall des Cybrothels kommen weitere Reizthemen hinzu: Fetische und Sexualität jenseits normativer Vorstellungen sowie der Einsatz von Technik im Intimbereich – und die ethisch komplexe Frage nach Zustimmung, wenn das Gegenüber eine Puppe ist.
Im Cybrothel können Gäste für 12 Euro dazubuchen, dass eine Puppe mit Sperma übersät ist oder auf Kommando uriniert – ohne dass sie widersprechen kann. In Zeiten, in denen antifeministische Positionen wieder an Boden gewinnen, wirft das Fragen auf.
Die Debatte darüber, wie Sex-KIs programmiert werden können, dass sie Konsens äußern und Grenzen kommunizieren können, sei notwendig, findet auch Fussenegger. Für die hauseigene KI verwende das Cybrothel Datensätze, die mit Fokus auf „Konsens, Diversität und Respekt“ ausgewählt werden. Er ist überzeugt: „Eine KI kann Konsens lernen.“ Doch darüber brauche es einen fundierten Diskurs – auch, um rechtliche Rahmenbedingungen rund um Sex und KI weiterzuentwickeln.
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