Sexueller Übergriff im Polizeidienst: Polizist lässt Hose runter
Weil er eine Frau in der Ausnüchterungszelle sexuell genötigt hat, verurteilt das Amtsgericht Hannover einen Polizisten zu einer Bewährungsstrafe. Linke und Grüne fordern unabhängige Beschwerdestelle.
HANNOVER taz | Nach der Verurteilung eines Polizisten aus Hannover wegen sexuellen Missbrauchs im Amt fordern Niedersachsens Grünen- und Linksfraktion erneut eine unabhängige Beschwerdestelle für polizeiliches Fehlverhalten. Einen entsprechenden Vorstoß hat Innenminister Uwe Schünemann (CDU) vor kurzem als "überflüssig wie einen Kropf" bezeichnet.
Am Dienstag hatte das Amtsgericht Hannover den zwischenzeitlich suspendierten Polizisten wegen sexuellen Missbrauchs, schwerer Nötigung, Ausnutzung seiner Amtsstellung und Vorteilsannahme zu 14 Monaten Bewährungsstrafe verurteilt. Er soll eine 36-Jährige in der Ausnüchterungszelle der Polizeiinspektion West in Hannover-Linden zum Oralsex gedrängt haben. Am Freitag legte der 47-Jährige, der alle Vorwürfe bestreitet, Berufung ein. Auch die Staatsanwaltschaft ficht das Urteil an: Sie hatte anderthalb Jahre auf Bewährung gefordert.
Ereignet hat sich der Vorfall 2009. Weil sie nachts betrunken in ihrer Wohnung randalierte, hatte die Polizei die Frau zur Ausnüchterung in Gewahrsam genommen. Schon bei der Personalienfeststellung auf der Wache soll der Polizist sie im Genitalbereich angefasst und von mehreren Verfahren gesprochen haben, die angeblich gegen sie anhängig seien. Gegen Sex würde er die Einträge löschen und sie früher aus dem Gewahrsam entlassen. Später soll er dann alleine in die Ausnüchterungszelle gekommen sein und die Frau zu sexuellen Handlungen genötigt haben - mit dem Versprechen, sie danach gehen zu lassen.
Unabhängige Beschwerdestellen für Vorwürfe von Polizeigewalt fordern der UN-Menschenrechtsrat und Amnesty International seit Jahren für Deutschland.
Die Linksfraktion will, dass eine solche Stelle in Niedersachsen selbst ermittelt und auch für PolizistInnen Anlaufstelle neben dem Dienstweg ist.
Strikt dagegen sind die Deutsche Polizeigewerkschaft, CDU und FDP. Auch der SPD reichen Dienstaufsichtsbeschwerden und Petitionen.
An die Polizei hat sich die Frau erst knapp zwei Wochen später gewandt. Ihr sei der Missbrauch erst im Nachhinein bewusst geworden, heißt es in einem psychologischen Gutachten. Der Polizist hatte sie nach dem Vorfall auf der Wache weiter in SMS sexuell bedrängt. Die 36-Jährige erstattete schließlich beim Polizeikommissariat Nordstadt Anzeige. Sie habe allerdings den Eindruck gehabt, die Kollegen des Angeklagten machten sich über sie lustig, gab die Frau vor Gericht an. Mehrere Vernehmungstermine bei der Polizei ließ sie verstreichen, erst bei der Staatsanwaltschaft sagte sie wieder aus.
"Besorgniserregend" findet es der Grünen-Rechtsexperte Helge Limburg, wenn sich Hilfesuchende wie die Frau mit Anzeigen nicht ernst genommen fühlen. Ändern könne das eine Beschwerdestelle außerhalb des Polizeiapparats. Die Linken-Innenpolitikerin Pia Zimmermann geht davon aus, dass der aktuelle Fall "nur die Speerspitze dessen ist, was im Dunkeln liegt." Es gehöre viel Mut dazu, Vorwürfe gegen Polizisten ausgerechnet bei deren Kollegen aufzugeben. "In der Regel kommen Fälle wie dieser gar nicht an die Öffentlichkeit", sagt sie.
Grünen-Politiker Limburg sieht auch das Verhalten der Polizeidirektion Hannover kritisch: Suspendiert hat die ihren Kommissar erst am Tag nach der Verurteilung. "Ich hätte erwartet, dass er spätestens ab dem Zeitpunkt der Anklageerhebung so lange suspendiert wird, bis die Vorwürfe geklärt sind", sagt Limburg. Bei der Polizeidirektion weist man das von sich: Der Mann sei in den Innendienst versetzt worden, sagt ein Sprecher. In solchen Fällen müsse man "abwägen": Schließlich würden auch zu Unrecht Vorwürfe gegen Polizeibeamte erhoben.
Eine Initiative für eine Polizei-Beschwerdestelle hat die Linksfraktion schon im Oktober in den Landtag eingebracht - und viel Kritik auf sich gezogen. Einzig die Grünen signalisieren Zustimmung. CDU und FDP lehnen selbst eine Anhörung im Innenausschuss ab.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau