Sexualisierte Gewalt in El Salvador: Eine Fehlgeburt ist kein Mord
33 Monate saß Evelyn Beatriz Hernández in Haft – wegen einer angeblichen Abtreibung nach einer Vergewaltigung. Nun wurde sie freigesprochen.
Hernández war nach einer Vergewaltigung im Jahr 2016 in der 32. Schwangerschaftswoche, als sie starke Schmerzen im Bauch spürte und auf einer Außentoilette eine Fehlgeburt erlitt. Später wurde der Fötus in einem Klärtank leblos aufgefunden. Hernández' Mutter sagte damals, sie habe ihre Tochter ohnmächtig neben dem Klo entdeckt. Die junge Frau selbst erklärte, sie habe von der Schwangerschaft nichts gewusst.
Staatsanwälte glaubten der Darstellung von Mutter und Tochter jedoch nicht, dass sie keine Ahnung gehabt hätten, dass ein Fötus in der Klärgrube gelandet sei. Die Justiz erhob Anklage. Gerichtsmediziner konnten nicht feststellen, ob der Fötus in der Gebärmutter oder im Klärtank starb.
Hernández wurde zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt, 33 Monate ihrer Strafe saß sie bereits ab. Im Februar jedoch wurde der Schuldspruch aus Mangel an Beweisen gekippt und ein neues Verfahren angeordnet.
Es war das erste Mal, dass ein solcher Fall in El Salvador wieder aufgerollt wurde. Die Staatsanwaltschaft warf Hernández im neuen Prozess vor, ihren Fötus nicht geschützt zu haben. Ihre Anwältin Bertha Mará Deleón sprach von einem „sehr fairen“ Urteil des Richters. „Er hat gesagt, dass es keinen Weg gegeben habe, um ein Verbrechen nachzuweisen, und deswegen hat er sie freigesprochen.“
Totales Abtreibungsverbot
In El Salvador werden Frauen, die nach Fehlgeburten staatliche Krankenhäusern aufsuchen, oft der vorsätzlichen Tötung des Fötus bezichtigt und angeklagt. Darauf können 30 bis 40 Jahre Haft stehen. Von solchen Strafen sind häufig arme, junge Frauen und Opfer von Vergewaltigung betroffen. Im zutiefst religiösen El Salvador gilt ein totales Abtreibungsverbot. Frauen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen lassen, drohen zwei bis acht Jahre Gefängnis.
Schätzungen zufolge werden im mehr als sechs Millionen Einwohner zählenden zentralamerikanischen Land jedes Jahr 25.000 Frauen nach sexueller Gewalt schwanger. Es wird angenommen, dass Jahr um Jahr Tausende heimliche Abtreibungen in El Salvador ausgeführt werden.
Menschenrechtler begrüßten den Freispruch im Fall Hernández. „Das ist ein überwältigender Sieg für die Rechte von Frauen in El Salvador“, erklärte Erika Guevara-Rosas, für den amerikanischen Kontinent zuständige Direktorin bei Amnesty International. Das Urteil stelle klar, dass keine Frau zu Unrecht des Mordes beschuldigt werden dürfe, nur weil sie einen Geburtsnotfall erlitten hätte. El Salvadors Regierung müsse ein für alle Mal die „Kriminalisierung von Frauen stoppen, indem sie die drakonischen Anti-Abtreibungsgesetze des Landes aufhebt“, forderte Guevara-Rosas.
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