Sexualisierte Gewalt im US-Biathlon: Langwierige Tortur
Die US-Biathletin Joanne Reid erfährt sexualisierte Gewalt in ihrem Team. Sie beklagt die beschwichtigende und zögerliche Haltung des Verbandes.
D ieser Sport, bei dem skifahrende Menschen mit einem Gewehr durch Winterlandschaften hasten, erfreut sich in den USA nicht einmal unter den Rentnern besonderer Beliebtheit. Biathlon ist und bleibt ein europäisches Ding. Bei den Weltcuprennen findet man unter den besten dreißig selten mal eine US-Amerikanerin. Doch der einheimische Verband arbeitet daran, den riesigen Abstand zur Weltklasse zu verkleinern. Bei der Junioren-WM 2023 gab es immerhin schon mal eine Bronzemedaille.
Doch in diesen Tagen muss sich der Verband mit den Vorwürfen einer Athletin auseinandersetzen, die. Die US-amerikanische Meisterin Joanne Reid von 2021 erzählte der Nachrichtenagentur AP, dass sie über Jahre vom Skitechniker und ehemaligen tschechischen Biathleten Petr Garabik sexuell belästigt und drangsaliert wurde.
Ihre Beschwerden beim Verband hätten über zwei Jahre keine Konsequenzen zur Folge gehabt. Ihr sei erklärt worden, das Verhalten von Garabik wäre eben Teil der männlichen europäischen Kultur. Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass für einen der größten aufgedeckten Missbrauchsskandale im Sport der US-Bürger und Sportarzt Larry Nassar im US-Turnen sorgte. Aber hierzulande sind bis zuletzt auch Protestanten der Ansicht gewesen, dass sexuelle Gewalt eher so eine katholische Angelegenheit sei.
Reid ließ die 2016 beginnenden Belästigungen drei Jahre lang über sich ergehen, weil sie sich vor der Macht von Garabik fürchtete. Schließlich war der Mann für das bestmögliche Wachsen ihrer Skier verantwortlich und sein Unmut hätte leicht zu sportlichen Nachteilen führen können. So erklärte sie das auch 2019 den Verbandsverantwortlichen, doch erst 2021 leiteten sie den Fall an das US Center für Safe Sport weiter, das wiederum für seine Untersuchungen 18 Monaten brauchte. In seinem Urteil erkannten es die Berechtigung der Vorwürfe an und suspendierte Garabik für sechs Monate und setzte sein Arbeitsverhältnis bis Dezember 2024 unter den Vorbehalt der Bewährung.
Ständige Berührungen und Anzüglichkeiten
Reid hatte von körperlichen und verbalen Übergriffen berichtet. Sie sei ständigen Berührungen, unerwünschten Umarmungen, anzüglichen Witzen und Klapsen auf das Gesäß ausgesetzt gewesen. Garabik räumte lediglich verbale Anzüglichkeiten ein, die nur Spaß gewesen seien.
Gehandelt hat der Verband offensichtlich auch erst auf Druck. Teamkollegin Deedra Irwin, die auch Zeugin der sexuellen Übergriffe wurde und Angehörige der US-Streitkräfte ist, informierte ihre militärischen Vorgesetzten, die wiederum Maßnahmen beim Biathlon-Verband einforderten. Daraufhin wurde erst Safe Sport informiert.
Das langwierige anderthalbjährige Procedere bei Safe Sport erlebte Reid ebenfalls als Tortur. Sie berichtet von stundenlangen retraumatisierenden Befragungen, in denen beispielsweise Details von Bedeutung gewesen wären, wie viele Zentimeter denn genau sich die Zunge von Petr Garabik in ihrem Hals befunden habe und ob er nach Pils oder Starkbier geschmeckt habe.
Obendrein wirft Reid US Biathlon vor, sich mit einer Verschärfung der Qualifikationskritierien für das Weltcup-Team an ihr revanchiert zu haben, weil sie den Verband mit ihren Bekenntnissen in ein schlechtes Licht gerückt hatte. „Sie behandelten mich wie eine ungezogene Neunjährige, und es war sehr schwierig für mich, in dieser Umgebung zu sein.“ Reid beendete ihre aktive Karriere. Der Verband bestreitet den Zusammenhang und verweist darauf, an der Entscheidung für die veränderte Qualifikation hätten auch Athleten mitgewirkt.
Überhaupt ist US Biathlon der Ansicht, eigentlich alles richtig gemacht zu haben. In einer jüngsten Stellungnahme anlässlich der Offenbarungen von Reid wird behauptet, man habe auf die ersten Aussagen umgehend reagiert, die Vorwürfe sofort weitergeleitet. Und Safe Sport hätte in seinen Untersuchungsbericht kein Fehlverhalten des Verbandes festgehalten. Zu völlig anderen Darstellung von Reid und ihrer Teamkollegin Irwin wird kein Wort verloren.
Erstmals hatte Joanne Reid im November via Instagram davon berichtet, Betroffene sexueller Gewalt geworden zu sein. Dass ihre Geschichte erst jetzt so viel Aufmerksamkeit bekam, erzählt etwas über den Stellenwert von Biathlon in den USA, aber auch über den schwierigen Kampf gegen sexuelle Gewalt im Sport.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Aktionismus nach Magdeburg-Terror
Besser erst mal nachdenken
Gedenken an den Magdeburger Anschlag
Trauer und Anspannung