Sexualisierte Gewalt im Sport: Für eine Struktur der Solidarität
Vertrauen und Zusammenhalt hilft einem Nachwuchsteam, einen übergriffigen Trainer loszuwerden. Immer noch wird Betroffenen viel zu selten geglaubt.
Dass wir angegafft, nicht in Ruhe gelassen und immer wieder benutzt werden, ist mir nichts Neues. Das ist der Alltag vieler junger Menschen und Frauen. Aber was zeigt uns dieser Fall? Er ist ein seltenes Beispiel dafür, wie man richtig reagieren kann – und sollte. Dass er aufgedeckt wurde, war das Ergebnis von Aufmerksamkeit, Mut und Solidarität. Eine Person aus dem Trainerteam hatte ein ungutes Gefühl und ihre Sorge wurde ernst genommen. Man schaute nicht weg, sondern hin.
Denn wie oft hören wir Geschichten, in denen Betroffenen nicht geglaubt wird. In denen ihre Gefühle als übertrieben abgetan werden, als Missverständnis. Ich erlebe im Alltag ständig Situationen, in denen Männer Grenzüberschreitungen herunterspielen – oft unter dem Deckmantel von „War nicht so gemeint“.
Aber wenn ein Fall dann einmal „eindeutig“ ist, weil es eine Video gibt – dann schlägt die Solidarität plötzlich ein wie ein Blitz. Dann äußern sich Leute empört und zeigen Anteilnahme. Das ist gut. Und gleichzeitig bitter. Weil wir uns nackt, entblößt und teils minderjährig noch einmal unter der Dusche filmen lassen mussten, um den Täter überführen zu können. Das ist wohl der Preis, den man zahlen muss, wenn man nicht als hysterisch abgestempelt werden möchte.
Sichtbare Solidarität
Deshalb tut es mir so weh zu wissen, dass andere Frauen diese Erfahrung nicht machen. Dass sie ihre Geschichte erzählen – und darauf Schweigen oder Zweifel ernten. Dabei sollte Solidarität keine Ausnahme sein. Sie muss alltäglich sein. Laut. Sichtbar. Dauerhaft. Wir wissen, was häufig Frauen, Mädchen und Jungs im Sport – und darüber hinaus – jeden Tag erleben. Körperliche Übergriffe. Sexistische Kommentare. Blicke, Bewertungen, Bedrohungen.
Schweigen ist keine Option. Das haben auch die DFB-Frauen mit ihrer Beteiligung an der Kampagne „Orange the World“ deutlich gemacht. Ihre Botschaft war klar: Gewalt hat keinen Platz – weder in der Kabine noch auf dem Spielfeld. Dieses Bewusstsein darf kein elitärer Anspruch bleiben. Es muss überall im Sport ankommen. Denn sexualisierte Gewalt im Sport ist kein Randphänomen. Sie entsteht, wenn Machtgefälle bestehen, etwa zwischen Trainer und Spielerin, zwischen Alt und Jung, zwischen männlich und weiblich. Es geht nicht nur um einzelne Täter. Es geht um ein System, das zu oft wegsieht – oder es sich leisten kann, zu schweigen.
Es braucht Schulungen, Vertrauenspersonen und Zeit. Und ja, das kostet Geld. Im Fußball werden millionenschwere Sponsoringverträge abgeschlossen, es wird in Rasenheizungen oder VIP-Lounges investiert. Da darf es keine Ausrede mehr geben, wenn es es um Schutz vor sexualisierter Gewalt geht. Es muss endlich auch in Prävention, Aufklärung und strukturelle Veränderungen investiert werden. Sicherheit darf kein Luxus, Gerechtigkeit kein Zufall und die Scham nicht auf der falschen Seite sein.
Dieser Text ist im Rahmen eines Workshops der taz Panter Stiftung für Nachwuchsjournalistinnen im Sport entstanden.
Fairplay fürs freie Netz
Auf taz.de finden Sie unabhängigen Journalismus – für Politik, Kultur, Gesellschaft und eben auch für den Sport. Frei zugänglich, ermöglicht von unserer Community. Alle Inhalte auf unserer Webseite sind kostenlos verfügbar. Wer es sich leisten kann, darf gerne einen kleinen Beitrag leisten. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Frankreich zu Palästinenserstaat
Macron kündigt Anerkennung Palästinas im September an
Deutsche Israel-Politik
130 Diplomaten im Außenministerium fordern härteren Kurs
Bettelverbot in Hamburgs S- und U-Bahnen
S-Bahn verhindert Grundrechtsentscheidung
Krieg im Gazastreifen
Keine Hilfe für die Verhungernden
Êzîdische Familie in Irak abgeschoben
Zurück ins Land des Verbrechens
Ob Männer- oder Frauenfußball
Deutscher Nationalstolz ist immer gefährlich