Sexualisierte Gewalt im Fußball: Es muss sich mehr tun

Praktische Maßnahmen gegen sexualisierte Gewalt im Fußball sind noch rar. Immerhin scheint das Bewusstsein zu wachsen, dass es ein Problem gibt.

Fußballfans sehen sich auf der Plaza General San Martín in Buenos Aires, Argentinien, eine Live-Übertragung der Fußball-WM in Russland an

Männlichkeitsriten, Macho­strukturen und Alkohol prägen den Fußball – egal ob in Bochum oder hier in Buenos Aires, Argentinien Foto: ap

Am 14. April 2018 kam es in einem Sonderzug der Gladbacher Fanszene zur Vergewaltigung einer jungen Frau; der Täter stellte sich einige Tage später. Der Fall erregte bundesweit Aufsehen, und es war nicht der erste. Im Februar hatte die Journalistin Stella Venohr beschrieben, wie sie im RE 6 von Gladbacher Fans sexuell belästigt worden sei.

Venohr sah keine Möglichkeit, andere Fans um Hilfe zu bitten: „Ich war umgeben von betrunkenen, randalierenden Männern. Zu viel Angst hatte ich vor der Reaktion der anderen Männer. Draußen hätte ich wenigstens weglaufen können.“ Anschließend solidarisierten sich rund 180 Fans gegen die Polizei mit dem Angreifer.

Im selben Monat wurde eine 17-Jährige von Fans des 1. FC Magdeburg, ebenfalls im Zug, sexuell belästigt und begrapscht. Zwei Jahre zuvor schildert die Journalistin Jana Heinicke in der Zeit, wie sie Fans im Zug sexuell belästigt und begrapscht worden sei. Die gerufenen Beamten der Landespolizei beschreibt sie als hilflos und desinteressiert.

Dass der Fußball mit seinen Männlichkeitsriten, Macho­strukturen und einem beträchtlichen Alkoholpegel eine Bühne für sonst unterschwelligen Sexismus bietet, ist bekannt. „Es fängt damit an, aufgrund des Geschlechts nicht ernst genommen zu werden, geht über sexistische Beleidigungen, Gesänge, Spruchbänder, Werbung und Ausschlüsse bis hin zu ‚nur lustig‘ oder gar ‚nett gemeinten‘ Anmachen und schließlich sexuellen Übergriffen“, ­beschreibt das Frauennetzwerk „F_in Frauen im Fußball“.

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„Ich glaube, dass die Sensibilisierung aller Beteiligten ein Schritt zum Schutz wäre“, sagt Antje Hagel vom Netzwerk F_in. Sie ist Mitarbeiterin im Fanprojekt Offenbach. „Oft wird noch davon ausgegangen, dass sexua­lisierte Gewalt ein Konflikt zwischen Fans wäre.“ Sensibilisiert werden sollten Fanbeauftragte, Ordner in Zügen und die Polizei. Fanprojekte seien da auf einem gutem Weg, weil man sich vermehrt mit dem Thema auseinandersetze.

Workshops und Aktionen

Zusammen mit anderen Netzwerken startet F_in zur kommenden Saison eine Umfrage zu sexualisierter Gewalt bei allen Vereinen sowie Fan­szenen von der ersten bis zur vierten Liga. „Es kann überall passieren: auf der Stadiontoilette, in dunklen Ecken, im Zug“, so Hagel. „Und im Fußball erwarten Frauen es vielleicht nicht, weil sie das Stadion als ihren eigenen Ort wahrnehmen.“ F_in will künftig vermehrt auf das Thema aufmerksam machen.

Andere Maßnahmen sind noch rar. Auf der Fanmeile in Berlin etwa gibt es nach Angaben der Sprecherin Anja Marx keine Schutzzonen oder Sicherheitsräume für Frauen. Bei der Organisation sei das auch kein Thema gewesen. „Wir haben mehrere Stützpunkte des Roten Kreuzes, die potenzielle Anlaufstellen bei sexueller Belästigung sind. Aber das sind absolut keine geschützten Räume“, sagt Marx.

Zu Silvester hatte eine Falschmeldung, der Veranstalter habe eine Schutzzone eingerichtet, für Chaos gesorgt. Laut Marx gab es während der WM bisher keine Beschwerden von Frauen wegen Belästigung auf der Fanmeile. So sieht der Veranstalter offenbar bislang keine Notwendigkeit, in Zukunft einen Sicherheitsraum einzurichten. „Es gibt sehr viele Polizisten und Ordner, an die man sich wenden kann.“ Rund 500 Ordner stelle der Veranstalter K.I.T. Group.

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In einzelnen Vereinen und Fanprojekten gibt es durchaus allmählich Maßnahmen gegen Sexismus. Meist Workshops und Aktionen, etwa Diskussionsveranstaltungen zu Sexismus wie beim Fanprojekt Bremen, Filme wie „Football is Freedom“ (bereits 2010) vom Fanprojekt Darmstadt oder einzelne Beiträge in Fanzines.

Im Gegensatz zu Homophobie oder Rassismus wird aber auf das Thema Sexismus weiterhin mit vielen Abwehrreflexen reagiert. Der FC St. Pauli hat zusammen mit „Pinkstinks“ Richtlinien gegen sexistische Werbung im Stadion herausgegeben, nach eigenen Angaben als erster Verein in Deutschland. F_in Frauen im Fußball fordert jetzt ein klares, bundesweites Konzept gegen sexualisierte Gewalt im Fußball. Das fehlt bislang.

Vor allem in Zügen ist die Situation schwierig: eine Masse an Fans, die sich unmöglich kon­trollieren lässt, fehlende Fluchtmöglichkeiten, lange Abstände zwischen Stationen, Gruppendynamik.

Wie gehäuft Belästigung oder auch häusliche Gewalt im Zusammenhang mit Fußballspielen in Deutschland passiert, ist unklar. Grundsätzlich erfasst die deutsche Polizei nach Angaben einer Polizeisprecherin keine Zahlen zur Verbindung von sexueller Belästigung und Fußball.

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