Sexismus in der Coronapandemie: Die Krise als Ausflucht
Frauenverbände beklagen, Corona verstärke Ungerechtigkeiten zwischen den Geschlechtern. Die Pandemie bedrohe erreichte Fortschritte.

Weltweit seien 75 Prozent der Beschäftigten im Gesundheitswesen Frauen, aber nur 25 Prozent von ihnen in Führungspositionen vertreten, schreibt das Netzwerk darin.
Durch die Jobs im Gesundheitsbereich seien Frauen verstärkt Infektionsgefahren ausgesetzt, aber schon Schutzanzüge gebe es oft nicht in Frauengrößen, sondern seien für Männer designt. Da Frauen derzeit weit überwiegend die Kinderbetreuung organisierten, stelle sie der Lockdown zudem auch dort vor besondere Herausforderungen. So könnten sie weniger Zeit in ihre berufliche Arbeit investieren, was zu Nachteilen in der Karriere führen könne. Das Risiko für häusliche Gewalt erhöhe sich durch Kontakteinschränkungen und Ausgangssperren zusätzlich.
Obwohl Frauen während der Pandemie also einen Großteil der Versorgungsarbeit leisteten, „sind sie als Expertinnen nur zu einem geringen Teil mit einbezogen“, kritisiert das Netzwerk. Die WGH forderte, Frauen paritätisch und interdisziplinär in Beratungs- und Entscheidungsgremien einzusetzen, um ihre Perspektiven hörbar zu machen: in Kommissionen, Beratungsstäben, aber auch auf Konferenzen oder in Talkshows.
In vorderster Reihe – aber nicht beim Gehalt
Zudem müssten Gesundheits- und Pflegeberufe gestärkt werden, so die WGH. Und schließlich müsse geschlechtersensible Forschung gefördert werden: Daten müssten gesammelt werden, um Forschungslücken zu identifizieren und Handlungsoptionen aufzuzeigen. Dafür gebe es auch in Deutschland „ausreichend qualifizierte Frauen, die gern ihre Perspektive und Expertise in den aktuellen Diskurs einbringen“, so das Netzwerk.
In der deutschen Sektion der WGH sind neben Wissenschaftlerinnen und Beraterinnen auch Politikerinnen wie Annette Widmann-Mauz (CDU) und die ehemalige Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) vertreten.
Konkret an die Bundesregierung richten sich am Dienstag 17 Frauenverbände, die bereits seit 2011 in einem überfraktionellen Bündnis namens Berliner Erklärung zusammengeschlossen sind. Die Coronakrise „legt nicht nur die bestehenden Defizite in der Gleichstellungspolitik offen, sie ist auch besorgniserregend für die gleichstellungspolitische Entwicklung in Deutschland“, schreiben die Verbände in einer gemeinsamen Erklärung.
Ihr Vorwurf: Die Krise werde als Ausflucht genutzt, um zentrale gleichstellungspolitische Vorhaben wie die Ausweitung des Gesetzes für mehr Frauen in Führungspositionen infrage zu stellen. Und die konkrete Befürchtung: Die angepeilten Maßnahmen würden in dieser Legislatur nicht mehr umgesetzt werden.
„Frauen stehen in vorderster Reihe, um die Krise zu bewältigen“, so die Präsidentin des Vereins Frauen in die Aufsichtsräte, Monika Schulz-Strelow. „Aber sie müssen auch vorne stehen, wenn es um Führungsverantwortung in der Wirtschaft und um gerechte Bezahlung geht.“ Die Verbände forderten unverändert eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen, gleiche Bezahlung und eine verbindliche und transparente Gleichstellungspolitik.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Friedensforscherin
„Wir können nicht so tun, als lebten wir in Frieden“
Prozess gegen Maja T.
Ausgeliefert in Ungarn
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
ifo-Studie zu Kriminalitätsfaktoren
Migration allein macht niemanden kriminell
Bundesregierung und Trump
Transatlantische Freundschaft ade