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Sex als Heilkraft

■ Sex kann heilen, sagt die feministische Psychotherapeutin Christa Schulte und hat schon die Krankenkassen mobilisiert

Das FrauenGesundheitsZentrum stellte jetzt im Rahmen seiner diesjährigen Gesundheitstage das Thema „Sex als Heilmittel im Alltag“ zur Diskussion – im Rahmen eines Vortrags der feministischen Psychotherapeutin Christa Schulte. Die 44jährige führt eine Praxis in Bremen und hat sich mit weiteren Kolleginnen auf das Thema „Sexualität“ spezialisiert.

Wir sprachen mit ihr über Angebote in Bremen zur sexuellen Heilkraft und die Position der Krankenkassen.

taz: Was bedeutet sexuelle Energie als Heilkraft für alle?

Christa Schulte, feministische Psychotherapeutin: Es geht dabei um die Möglichkeit, wie Menschen aus sich selber heraus Kräfte mobilisieren können, die sie auch zu Heilzwecken, zur Schmerzmilderung, zur Entspannung und zum allgemeinen Wohler- und Gesünderfühlen einsetzen können.

Wie wird die Heilkraft mobilisiert?

Mit allen Variationen von Sexualität. Man kann sich zum Beispiel die Fußreflexzonen drücken lassen, die mit der Vitalisierung sexueller Energie zu tun haben. Dadurch wird die sexuelle Energie gesteigert. Das Ziel ist dabei, den unangenehmen Gefühlen wie Schmerzen oder Verspannungen andere angenehme Gefühle entgegenzusetzen und zu verstärken, bis sie in der Wahrnehmung größer werden als die Schmerzreize.

Und das geht nur, wenn man Sex macht?

Das ist nur ein Mittel. Ich sage ganz klar nicht: Sex ist das einzige Allheilmittel.

Aber warum funktioniert es Ihrer Meinung nach so gut?

Weil sexuelle Energie die schnellste und häufigste Energieform ist, die wir zur Verfügung haben, und weil sexuelle Energie eine direktere Trägerin der allgemeinen Vitalität ist.

Woher stammt diese Erkenntnis?

Aus den tantrischen, taoistischen und sexualmagischen Lehren. Nehmen wir zum Beispiel die Herzerfreuungsübung, die aus indianischen Völkern stammt. Dabei wird das Fördern orgastischer Energie kurz vor dem orgastischen Höhepunkt gestoppt und mit Hilfe einer bestimmten Atemtechnik auf die Herzebene gezogen..

Die Herzerfreuungsübung hört sich sehr kompliziert an. Wie funktioniert sie genau?

Über Atmung und Berührung läßt sich Energie leiten – ebenso wie über bewußte Konzentration. Viele kennen es vom autogenen Training: Sie konzentrieren sich auf den rechten Arm, und dieser wird tatsächlich warm und schwer. Ähnlich passiert das, wenn ich zum Beispiel in der Klitoris feines Feuer entfacht habe und streichele mit der Hand hoch über den Nabel bis zum Herzen und denke dabei auch in diese Richtung, dann findet tatsächlich auch eine bessere Durchblutung des Herzbereiches statt.

Bei welchen Krankheiten lassen sich solche Methoden anwenden?

Ich bin keine Ärztin. Ich kann nur alle, die irgendwelche Erkrankungen haben, zum Experimentieren ermuntern. Bei einer Grippe zum Beispiel wollen viele einfach nur ihre Ruhe haben und nicht berührt werden. Da wäre es unsinnig, mit sexueller Energie zu arbeiten. Es kann aber sein, daß der Schwächezustand bei der Grippe auch mit Fieberträumen einhergeht, die umzufunktionieren wären zum Beispiel über Ergänzungen durch sexuelle Phantasieträume – um dadurch auch wieder eine Vitalisierung zu erreichen, die schnellere Gesundung möglich macht.

Gibt es auch Praktiken für Männer?

Ja, zum Beispiel die Hodenmassage oder Reflexpunkte am Penis, die den Herzpunkt erreichen.

In den Niederlanden gab es eine Diskussion über Sex auf Krankenschein, mit dem Körperbehinderte zu einer Prostituierten gehen können.

Wir machen keine Sexarbeit. Wir sind AnleiterInnen und planen zur Zeit eine Gruppe zum Thema Parkinsonismus und Sexualität, in der Selbsthilfe untereinander möglich ist. Und es gibt andere Gruppen, in denen man sich gegenseitig hilfreich zur Seite steht – aber dabei geht es nicht so sehr um gegenseitigen sexuellen Austausch, sondern jeder für sich spielt mit der eigenen sexuellen Energie und entfacht diese im wesentlichen über Atmung und nur mal über Berührung.

Haben Sie mit Krankenkassen bereits das Gespräch gesucht, ob dafür Kostenerstattungen möglich sind? Da gibt es doch sicher Vorbehalte?

Meine Erfahrung war bislang anders. Witzigerweise waren gerade die Männer, die in den Krankenkassen saßen, sehr daran interessiert, etwas zum Thema Impotenz und Ejakulationsstörungen jenseits von Viagra zu machen. Meine Phantasie war dabei, daß sie sich darin zum Teil womöglich auch selber gesehen haben.

Fragen: Katja Ubben

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