Serie über Polizeigewalt in Frankreich: Mit Knüppeln attackiert
Die Miniserie „Oussekine“ beschäftigt sich mit dem Tod von Malik Oussekine im Jahr 1986 in Frankreich. Bis heute wurde kein Täter festgenommen.
Oussekine. Malik Oussekine. In Deutschland dürften die wenigsten auf Anhieb etwas mit diesem Namen anfangen können. Doch in Frankreich hat er sich, zumindest für gewisse Generationen, tief ins gesellschaftliche Gedächtnis eingebrannt. Am 6. Dezember 1986 wurde der 22-jährige französische Student mit algerischem Hintergrund in Paris Opfer von brutaler Polizeigewalt; sein Tod ist untrennbar verbunden mit massiven, teilweise gewalttätigen Protesten, die in den Wochen danach Frankreich erschütterten. Mit der Miniserie, die seinen Namen trägt, rollt nun eine der ersten französischen Eigenproduktionen den Fall und seine Folgen auf.
„Oussekine“, vier Episoden, ab 11. Mai bei Disney+
Malik Oussekine (Sayyid El Alami), dessen Vater im Zweiten Weltkrieg mit den Franzosen kämpfte und sich ab den 1950er Jahren dauerhaft mit seiner Familie in der Banlieue von Paris niederließ, interessiert sich für die Anliegen seiner Kommiliton*innen eher wenig. Sein Fokus liegt auf der Religion statt auf Politik: er plant, zum Christentum zu konvertieren, trägt immer eine Bibel bei sich und kann sich sogar vorstellen, Priester zu werden.
Nach dem Besuch eines Clubkonzerts im Quartier Latin gerät er nachts in eine sich auflösende Demonstration und in das Visier einer motorisierten Polizeipatrouille, die ihn verfolgt und brutal mit Knüppeln und Fußtritten attackiert. Später wird sich herausstellen, dass Oussekine längst tot ist, als er ins Krankenhaus gebracht wird.
Antoine Chevrollier, der als Regisseur an der Serie „Büro der Legenden“ beteiligt war und erstmals als Showrunner und Autor verantwortlich ist, zeigt eindrücklich die Folgen, die Oussekines Tod nach sich zieht.
Die Vertuschungen von offizieller Seite, bei denen Aufklärung aktiv verhindert wird und es lediglich um den Schutz der Täter (von denen übrigens keiner je ins Gefängnis kam) geht, finden in „Oussekine“ ebenso ihren Raum wie die Vereinnahmung des Opfers als Märtyrer durch eine aufgebrachte Öffentlichkeit und eine Bewegung, von der sich Oussekine selbst bewusst ferngehalten hat: Schon vor seinem Tod gab es Unruhen in Frankreich. Vor allem in Paris protestierten Tausende Studenten gegen eine geplante Universitätsreform, aber auch neue Einwanderungsrestriktionen.
Vieles erinnert an die Gesellschaft von heute
Vor allem aber geht es Chevrollier und seinem Mitstreiter Cédric Ido darum, den Titeln ihres Vierteilers gerecht zu werden. Statt Oussekine und sein Schicksal bloß als Aufhänger zu nehmen, um größere Kontexte herzustellen, macht „Oussekine“, auch mittels Rückblenden, ihn selbst zum emotionalen Zentrum der Geschichte.
Und seine verzweifelte Familie gleich mit: auch seine Mutter Aicha (die stets famose Hiam Abbass) und die älteren Geschwister Sarah (Mouna Soualem), Mohamed (Tewfik Jallab) oder Benamar (Malek Lamraoui) sind Protagonist*innen, über die sich nicht nur verschiedene französisch-muslimische Alltagsrealitäten Mitte der achtziger Jahre, sondern auch historische Ereignisse wie das Pariser Massaker während des Algerienkriegs 1961 oder der Aufstieg des Front National erzählen lassen.
Dass der Fall Oussekine, der schon 1995 als Inspiration für den wegweisenden Film „Hass“ von Mathieu Kassovitz herhielt, auch heute noch relevant ist, macht die eindrucksvolle, emotional aufwühlende Serie unmissverständlich klar, ohne Bezüge mit dem Holzhammer herzustellen. Rassismus und Diskriminierung, Polizeigewalt und Justizmissbrauch und eskalierende Proteste – all das ist heute nicht nur in der französischen Gesellschaft genauso präsent wie vor 36 Jahren.
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