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Serie Über Rassismus redenEs ist Zeit, sich zu verschwören

Identitätspolitik ist politische Notwehr. Schon immer wurden Rechte erstritten, indem Menschen sich in ihrer Benachteiligung solidarisierten

Wenn es um Identität geht, geht es in erster Linie um Existenz Foto: Xueh Magrini Troll

Als ich letztes Jahr einmal in Dresden am Bahnhof stand, um, ordnungsgemäß in einem gelben Quadrat stehend, zu rauchen, näherte sich mir ein älterer Herr. „Ja ja, die Ausländer“, raunte er. „Nur die Ausländer rauchen.“ Als ich ihn darauf hinwies, dass ich deutscher Staatsbürger sei, meinte er: „Klar, aber kein richtiger“, und verschwand.

Ich überlegte, der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) den Warnhinweis „Rauchen gefährdet Ihre Integration“ vorzuschlagen. In Wien wurde ich schon als Asylant bezeichnet, in Berlin als Schmarotzer. Der Clou bei allen drei Begegnungen: Ich musste mich zu keinem Zeitpunkt dazu bekennen, schwarz zu sein.

Die Denkmuster und Gesetze der Gesellschaft arbeiten gegen Menschen of Color. Diese sind in ihr Nicht-weiß-Sein hineingeworfen: Dass Nichtweiße eine Erfindung weißer Identitätspolitik sind, lässt die Realität, die Wirksamkeit der Verhältnisse unberührt. Es ist deswegen nichts anderes als politische Notwehr, aus dieser Einsicht emanzipatorische Identitäten zu entwickeln.

Es geht ums Fressen

Ob nun der African National Congress und das Ende der Apartheid oder die Suffragetten und das Frauenwahlrecht; seit jeher wurden Rechte von Menschen erstritten, die sich zunächst in ihrer Benachteiligung miteinander solidarisierten und aus der Gruppe heraus ihre gemeinsamen Interessen durchsetzten. Dabei ging es nicht um Moral, sondern ums Fressen. Und davor noch darum, existieren zu dürfen. Denn auch wenn der Humanismus sich nachträglich mit den Errungenschaften dieser Kämpfe schmücken mag: sie sind nicht ihm zu verdanken.

Im Gegenteil waren ursprünglich nur weiße Männer gemeint, wenn vom Menschen und seinen Rechten die Rede war. Um genau dieses Mitgemeintsein, diese Menschwerdung geht es. Die Alternative? Unsichtbarkeit. Sprachlosigkeit.

Am deutlichsten wird dies am Beispiel des Feminismus. Die Suffragetten etwa erkämpften das Wahlrecht nicht für alle Frauen. Nichtweiße mussten sich noch Jahrzehnte gedulden. Auch in seiner sogenannten zweiten Welle war der westliche Feminismus nach wie vor ausschließlich weiß. Der Anspruch, daraus ein universelles Befreiungskonzept abzuleiten, muss scheitern. Ohne ihre Verdienste in Abrede stellen zu wollen: Was weiß eine Alice Schwarzer schon von der Lebensrealität, den Bedürfnissen von Frauen of Color?

Mehr als bürgerliches Klein-Klein

Die Notwendigkeit, die Gleichzeitigkeit sozialer Kämpfe zu würdigen, setzte sich erst mit dem Aufkommen der dritten Welle in den neunziger Jahren und der Rezeption nichtweißer Feministinnen wie Audre Lorde durch. Für den Umstand, dass sich diese Kämpfe überschneiden können, prägte Kimberlé Crenshaw den Begriff der Intersektionalität. Eine schwarze Frau etwa ist Diskriminierungserfahrungen ausgesetzt, die weder schwarze Männer noch weiße Frauen machen; in ihrer Person kreuzen sich Rassismus und Sexismus.

Seither hat sich viel getan. Der intersektionale Ansatz hat in feministischen Zusammenhängen – und darüber hinaus – unter anderem die politische Selbstermächtigung von Menschen mit Behinderung erleichtert und zur Anerkennung von Geschlechteridentitäten jenseits des Mann-Frau-Gegensatzes beigetragen. Nun gab es schon immer linke Stimmen, die diese Formen der Emanzipation für moralisches, bürgerliches Klein-Klein halten („Haha, Transgendertoiletten!“) und zugunsten der vernachlässigten sozialen Frage ausblenden wollen. Hier wird zweierlei sträflich außer Acht gelassen.

Erstens geht es auch bei Identitätspolitik zuvörderst um Antworten auf die soziale Frage; wir erinnern uns, es geht um Existenz. Zweitens ist niemand frei, solange nicht alle frei sind: Die soziale Frage kann nur von links geklärt werden, wenn wir pluralistisch denken.

Wir erleben dieser Tage eine reaktionäre Renaissance, die ihrerseits den Klassenkampf sucht – jedoch von oben. Dazu werden Umvolkungsszenarien und Verteilungskämpfe gegen eine „fremde Gefahr“ zusammenfantasiert. Glaubt man Trump, besteht diese Gefahr aus Globalisierung, mexikanischen Migrant_innen und dem Islam. Höcke sieht den sozialen Frieden in Deutschland „durch den Import fremder Völkerschaften“ bedroht. Das funktioniert nur so gut, weil an die Stelle von Klassenbewusstseins – selbst Identitätspolitik avant la lettre – ein weißer Ethnonationalismus gerückt ist. Mut zu Deutschland. Im Klartext: Wir zuerst. Die Volksgemeinschaft wird zurückbeschworen und im selben Atemzug ihr Lebensentwurf als einzig schützenswerter propagiert. Gesegnet sei die Kernfamilie, Brutkasten der Nation.

Ein Narrativ der Angst

Das ist ein Angriff auf alle, die für eine Gesellschaft der Teilhabe einstehen. Wer diese verteidigen will, darf keinen Schritt zurückweichen. Es ist fahrlässig, rechtspopulistischen Ar­gumenten hinterherzuhecheln, wie manch Spitzenpolitiker_in es tut. Beispielsweise die Linke Sahra Wagenknecht mit ihren Äußerungen über verwirkbares Gastrecht; oder der Grüne Boris Palmer, der Verständnis für Professoren hat, die sich angesichts von Asylunterkünften um ihre blonden Töchter sorgen; oder die SPD, die 2014 damit Wahlkampf machte, dass nur mit ihr ein Deutscher Präsident der EU-Kommission werden könne. Damit beschränkt man sich auf einen Diskurs, dessen Rahmen von rechts bestimmt wird.

Um dem Narrativ der Angst eine eigene Vision entgegenzusetzen, genügt es nicht, die Rechte als hetzerischen Haufen ins Abseits zu stellen. Vielmehr muss deutlich gemacht werden, dass der eigentliche Verteilungskampf nicht unten, sondern oben stattfindet. Nicht zuletzt, weil im Windschatten der reaktionären Gesellschaftspolitik Konzessionen an die Oberschicht vorbereitet werden. Ein Blick in den Programmentwurf der AfD: Steuererleichterungen für Unternehmer_innen, Sozialabbau, Privatisierungen.

Eine linke Gesamtoffensive muss also mehr Klassenkampf wagen und eine Plattform für alle Gruppen sein, denen durch den Aufstieg der Rechten der erneute Ausschluss droht. Für alle, die nicht in das Weltbild eines Fünfziger-Jahre-Prospekts passen. Für alle, die bisher zu wenig gehört werden, weil wir Mehrheitsverhältnisse mit Daseinsberechtigung verwechseln. Die Gleichzeitigkeit der Kämpfe bedeutet eine Gleichzeitigkeit von Strategien. Das gilt es auszuhalten.

Die Revolte

Und hat sich Identitätspolitik als Grundlage dieser Kämpfe nicht abermals bewährt? Eine Absage an sie wäre nicht nur ahistorisch, sondern unsolidarisch und spielte obendrein dem Backlash in die Hände. Dabei brauchen wir nichts mehr als Solidarität in Wort und Tat, einen Schulterschluss auf Augenhöhe. Denn weder Empathie noch Grundgesetz noch Parlamente allein werden uns retten.

Im Virginia des Jahres 1663 organisieren sich in Schuldknechtschaft stehende Weiße und versklavte Schwarze, die gemeinsam auf den Tabakplantagen von Gloucester County schuften, um gegen ihre Ausbeutung aufzubegehren. Die Revolte scheitert – wie jede gute Geschichte durch einen Verrat. Es dauert nicht lange, bis aus Schuldknechten Aufseher werden. Im Grunde werben die Rechtsnationalist_innen heute mit dem Versprechen von Aufseherposten. Wir hingegen wollen die uneingeschränkte Gleichstellung aller Menschen. Was nach Einzelinteressen aussieht, sind Wege, die gemeinsam zum Ziel führen.

Höchste Zeit also für eine neue, intersektionale Glouces­ter-Verschwörung. Ihren Leitspruch hält James Baldwin bereit: „The victim who is able to articulate the situation of the victim has ceased to be a victim: he or she has become a threat.“ Auf geht’s. Lasst uns wieder gefährlich werden.

Links lesen, Rechts bekämpfen

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18 Kommentare

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  • Diese Art ewiges elendige Gedibber hält Rassismus aufrecht - schließlch bedeutet das für jede Menge Nicht-Weißer einfach:

    Identität.

    "Ich - bin - das - ANDERE! -und das ist interessant und soll so bleiben!" Lasst bloss keine Normalität eintreten - ach, Du lieber Himmel, da hat eine Kassiererin gefragt: "Wo kommen Sie denn her?" und da hat der/die Angesprochene ja vor lauter Empörung gar nicht antworten können, wo er doch in Deutschland geboren ist. HACH, mir kommen die Tränen!

    Meine Mutter, eine reizend naive Person aus einer norddeutschen Kleinstadt, wollte einst mit dem Taxi fahren (Abenteuer) und da war ein Pakistani der Fahrer. - Sie erzählte mir, dass sie erst Angst hatte einzusteigen, und genau das erzählte sie dem Mann, nachdem die beiden sich nett unterhalten hatten: : "Ehrlich gesagt, ich hatte erst Angst, einzusteigen, weil sie ja Ausländer sind. Das tut mir leid, Entschuldigung, Sie sind ja so nett!!" Die Sache fand laut meiner Mutter daraufhin ihren Höhepunkt, als beide auf der Konsole ihre Arme nebeneinander legten und die Hautfarben verglichen, sie sehr weiß und blond, er sehr dunkel und schwarz. Sie sprachen über das jeweils Fremde daran und der Fahrer fand es ganz normal, dass sie zunächst gefremdelt hatte vor ihm, in Pakistan würde man genauso fremdeln vor Weißen. - Und so traf meine Mutter bei mir mit dem Taxi an, und ich sah noch, wie der junge Pakistani und meine mittelalte Mutter sich herzlich verabschiedeten.

     

    Das ist wesentlich, Nachbarschaftskontakte, Berufskontakte - (meine völlig unpolitische Nachbarin, die ihren Geschirrschrank durchguckt, ob sie nicht ihr zweites Service für die syrische Familie nebenan entbehren kann.)

    Auf das entfremdete Wohlstandsgeschwätz in diesem Text kann die Welt verzichten, zumal es weder intellektuell noch neu ist - es ist einfach nur abstrakt einfältig.

  • ich weigere mich, mit Leute wie dem Rentner aus Dresden allein wegen meiner Hautfarbe oder meines Passes als Einheit betrachtet zu werden. Jemand, der so einen Quatsch erzählt, ist mir weitaus ferner als die meisten "Zugewanderten" oder "Farbigen".

  • Abitur im Fach Politik. 2017. Aufgabenvorschlag 3: Erstellen Sie einen Artikel für eine Zeitschrift oder Partei Ihrer Wahl. Max. 1.000 Worte. Grundlage: Folgende 139 Worte aus dem Artikel von Temye Tesfu: Es ist Zeit; sich zu verschwören. Taz. 07.02.2017:

    Identitätspolitik; politische Notwehr; Rechte; Menschen; Benachteiligung; solidarisieren; Identität; Existenz; Ausländer; deutscher Staatsbürger; Integration; Asylant; Schmarotzer; Denkmuster; Gesellschaft; Menschen of Color; Nicht-weiß-Sein; Nichtweiße; weiße Identitätspolitik; Wirksamkeit der Verhältnisse; politische Notwehr; emanzipatorische Identitäten; Apartheid; gemeinsame Interessen; Moral; Humanismus; Mitgemeintsein; Menschwerdung; Unsichtbarkeit; Sprachlosigkeit; Feminismus; Wahlrecht; universelles Befreiungskonzept; Lebensrealität; Frauen of Color; Gleichzeitigkeit; Rezeption; Intersektionalität; Diskriminierungserfahrungen; Rassismus; Sexismus; Selbstermächtigung; Geschlechteridentitäten; Emanzipation; moralisch; soziale Frage; Identitätspolitik; Existenz; reaktionäre Renaissance; Klassenkampf von oben; Umvolkungsszenarien; Verteilungskämpfe; fremde Gefahr, zusammenfantasieren; Globalisierung; sozialer Frieden; Deutschland; Import fremder Völkerschaften; Klassenbewusstsein; Identitätspolitik; Ethnonationalismus; Deutschland; Volksgemeinschaft; Kernfamilie; Brutkasten der Nation; Narrativ der Angst; Teilhabe; rechtspopulistisch; verwirkbares Gastrecht; Diskurs; Vision; müssen; reaktionär; Konzessionen; Sozialabbau; Privatisierungen; linke Gesamtoffensive; Klassenkampf; Aufstieg der Rechten; Mehrheitsverhältnisse; Daseinsberechtigung; Gleichzeitigkeit; Strategien. Revolte; Identitätspolitik; Backlash; Solidarität in Wort und Tat; Schulterschluss auf Augenhöhe; Empathie; Grundgesetz; Schuldknechtschaft; Ausbeutung; Verrat; Rechtsnationalist_innen; uneingeschränkte Gleichstellung aller Menschen; Einzelinteressen; Wege gemeinsam zum Ziel; Verschwörung.

    Martin Korol, Bremen

  • 3G
    33523 (Profil gelöscht)

    “Identitätspolitik ist politische Notwehr.”

     

    Erinnert mich ein wenig an einen Artikel aus der faz in dem es hieß “Steuerhinterziehung ist Notwehr”. Gemein hat der bürgerliche Steuerhinterzieher mit dem Anhänger der Identitätspolitik neben dieser Floskel auch den besonders niedrigen moralischen Standard.

     

    “Die Denkmuster und Gesetze der Gesellschaft arbeiten gegen Menschen of Color.”

     

    Das Statement ist mir zu generisch. Die Denkmuster der Gesellschaft arbeiten gegen Menschen die nicht so sind wie die Mehrheit der Gesellschaft. So ist es in jeder Kultur und mit solch einem Statement wird man der Welt auch gerechter. Die Gesellschaft verlangt von _jedem_ Anpassung zum Wohle der Gemeinschaft. Das ist der Grundgedanke von Gesellschaften.

     

    “Dass Nichtweiße eine Erfindung weißer Identitätspolitik sind, lässt die Realität, die Wirksamkeit der Verhältnisse unberührt.”

     

    Die Hautfarbe ist kein soziales Konstrukt, sondern etwas das sich objektiv wahrnehmen lässt. Um diesen Unterschied zu erfassen braucht es keine Identitätspolitik und nicht einmal Sprache. Ihr Statement erinnert mich an dieses Bild: https://goo.gl/JuVKEP

     

    “Wir erleben dieser Tage eine reaktionäre Renaissance, die ihrerseits den Klassenkampf sucht – jedoch von oben.”

     

    Har Har Har. Hinterwäldler und Abgehängte wählen Trump und sind, wie man in zahlreichen Artikeln lesen konnte, recht zufrieden mit seiner Performance. Aber das was da abgeht ist natürlich ein Klassenkampf von oben, weil... ähhhm ist halt so. Passt besser ins Feindbild.

     

    Die Wahrheit ist das sich die Linke durch die Identitätspolitik und ihren “Intersektionellen Ansatz” zu einer Freakshow entwickelt hat die das gemeine Volk abschreckt. Links im beschriebenen Sinne sind fast immer Akademiker aus dem sozialwissenschaftlichen Bereich und keine Arbeiter.

    • @33523 (Profil gelöscht):

      „Das Statement ist mir zu generisch. Die Denkmuster der Gesellschaft arbeiten gegen Menschen die nicht so sind wie die Mehrheit der Gesellschaft. So ist es in jeder Kultur und mit solch einem Statement wird man der Welt auch gerechter. Die Gesellschaft verlangt von _jedem_ Anpassung zum Wohle der Gemeinschaft. Das ist der Grundgedanke von Gesellschaften.“

       

      Die politischen Haltungen der Mehrheitsgesellschaft sind aber nicht naturgegeben oder unveränderlich. Vor 80 Jahren waren Nationalismus und Rassismus in Deutschland absoluter Mainstream. Das ist heute völlig anders. Bildung, Erziehung etc. haben eine große Rolle bei dieser Veränderung gespielt. Das bedeutet, dass wir Missstände nicht einfach hinnehmen oder sie gar gut finden müssen, sondern dass man etwas dagegen tun kann.

       

      „Die Hautfarbe ist kein soziales Konstrukt, sondern etwas das sich objektiv wahrnehmen lässt. Um diesen Unterschied zu erfassen braucht es keine Identitätspolitik und nicht einmal Sprache. Ihr Statement erinnert mich an dieses Bild: https://goo.gl/JuVKEP“

       

      Nein, der Melaningehalt der menschlichen Haut ist angeboren. Der Grad der Wahrnehmung, Gewichtung und Bewertung dieser biologischen Eigenschaft, und die ethnischen Fremd- und Selbstzuschreibungen, die auf dieser Eigenschaft basieren, sind jedoch menschengemacht, genauer gesagt: sozial konstruiert. Und nur darum geht es hier.

  • Was ich absolut nicht verstehe, ist, wieso ein Klassenkampf ein Kampf von mehreren Minderheiten sein muss. Die Bourgeoisie wird keine Mehrheit sein. Die Produkttionsmittelbesitzer bleiben eine Minderheit, sonst hätten wir evtl. ein Problem weniger.

     

    Abgesehen davon, dass die Gruppe der Diskriminierten wegen Alter schon eine Mehrheit bald ausmachen.

     

    Wenn dann noch "Identitätspolitik" eingeworfen wird, ohne zu erläutern, welche Unterschiede zwischen den Begrifflichkeiten besteht, wenn eine Mehrheit sie gebraucht (siehe "Identitäre" Rechte) oder eine Minderheit, dann kann ich, obwohl insgesamt sehr richtige Sachen da drin stehen, nur sagen, dass er grauenhaft schlecht geschrieben ist.

  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    Ich bin auch der Überzeugung, dass viel mehr über Rassismus und Sexismus gesprochen werden muss. Den Geschichten der Opfer muss mehr Raum gegeben werden. Allerdings geht der Text gar nicht auf die Vorwürfe ein, dass eine falsche theoretische Grundlage (Cultural Approppriation) zu einem erneuten Einzug des Rassismus in einen Diskurs führt, in dem gerade eben nicht die Hautfarbe,die soziale oder kulturelle Herkunft oder das Geschlecht entscheidend für die Wahrheit sind, sondern Argumente bzw. die Wahrhaftigkeit einer Geschichtserzählung.

     

    Das Argumente, dass du eine Kultur nicht haben darfst, weil du eine bestimmte Hautfarbe hast und weil du diese Kultur damit jemand anderem wegnehmen würdest, sind beide offensichtlicher Unsinn, das sagen auch Rechte, die ihr Deutschsein bedroht sehen, weil es deutsche PoC gibt.

    Wenn Hipster und Yuppies den (Hardcore-)Punk ausverkaufen, denn nehmen die den Autonomen und der DIY-Szene den HC-Punk dadurch nicht weg, Sie nehmen dem DIY-HC-Punk aber seine radikale emanzipatorische Grundbotschaft und führen ihn einer marktförmigen Verwertung zu. Dann springen selbst Onkelz-Verschnitte wie Kärbholz auf den Zug auf.

    • 8G
      85198 (Profil gelöscht)
      @85198 (Profil gelöscht):

      Aber anstatt Menschen zu sagen, sie sollten diese oder jene Kultur nicht haben, wie wäre es, einfach nur zu fordern, dass die Menschen überlegen, was sie tun und warum, anstatt einfach zu konsumieren. Die Zustände dekonstruieren, ohne sich selbst mit zweifelhaften, ja dubiosen Argumenten gegen Kritik zu immunisieren oder diese zu ignorieren, wie im Artikel.

       

      "Identitätspolitik ist politische Notwehr." - das könnte genau so in einem Pamphlet der Identitären Bewegung stehen. Als würde man einen Kanal legen von der Gosse des westlichen Denkens direkt ins Herz eines emanzipativen Diskurses. So etwas kostet bestenfalls nur Zeit und und Nerven. Schlimmstenfalls zerbricht man so die Bande der Solidarität und wird Steigbügelhalter der extremen Rechten.

    • 8G
      85198 (Profil gelöscht)
      @85198 (Profil gelöscht):

      In diesem Sinne kann ich die Kritik daran verstehen, dass sich viele Menschen mit Symbolen von Unterdrückten schmücken. die damit ihre Kultur repräsentieren wollen. Im Kapitalismus verkommt Widerstand zum Stile-Accessoir und zur kommerziellen Geste.

      Wir dürfen uns dieser Gleichmacherei als Linke*r nicht anschließen. Damit will ich aber nicht sagen, dass Weiße keine Dreadlocks haben sollen, sondern dass man jeden Menschen individuell "beurteilen" muss.

       

      Der Rastafarismus hat bekanntlich auch kein emanzipiertes Frauenbild. Insofern sind die Dreads für "den" Rastafari ein positives Zeichen seiner Identität, für seine Frau ist dieses Zeichen nicht so positiv. Das soll die Dreadlock nicht diffamieren (leider habe ich Glatze), Punks haben ja auch oft Dreadlocks.

      Die "weißen" Dreadlockträger, die ich kenne, erzählen jedenfalls, dass sie ständig nach Drogen gefragt und an den Haaren gezogen werden, selbst in Squats noch. Das Argument, man könne die sich ja einfach abschneiden, während PoC ihre Hautfarbe nicht ändern können, zieht da relativ wenig, wenn die Dreads bis in die Kniekehlen reichen. Für diese Menschen wäre es alles andere als einfach.

      Wenn die sich die Dreads abschneiden würden, würden sie sich im Spiegel nicht mehr richtig wieder erkennen und dann werden sie von ihren Freunden nicht mehr auf der Straße gegrüßt. Die ganze Art und Weise, wie Menschen auf sie reagieren, würde anders sein.

       

      Tattoos gehören ja auch zum guten Ton mittlerweile. Die sind zwar ziemlich permanent, aber um damit wirklich "negativ" aufzufallen, braucht man schon ein Gesichtstattoo, wer will das schon? Selbst damit kann man dann prima in der Tattoosendung im Fernsehen auftreten.

      • @85198 (Profil gelöscht):

        Ich denke Sie missinterpretieren hier den Begriff der Identitätspolitik. Meiner Ansicht nach geht es dabei in erster Linie darum, spezifischen Diskriminierungen bestimmter Gruppen entgegenzutreten, die – und das ist das entscheidende – von außen als solche festgelegt werden. Bestimmte Diskriminierungen erfahren eben nur Gruppen bestimmter Leute, ganz gleich ob sie sich selbst als diesen Gruppen zugehörig betrachten oder nicht. Und unabhängig davon ob es um Geschlecht, Ethnizität, Bildungsstand, Vermögen, Alter oder sonstwas geht. Insofern ist es völlig korrekt, wenn jmd., die immer wieder bspw. als Schwarze angefeindet wird (egal ob sie sich nun selbst so definieren möchte), ihren Kampf gegen diese ganz spezifische Anfeindung als identitätspolitische Notwehr bezeichnet.

         

        Der cultural-appropriation-Schwachsinn steht auf einem ganz anderen Blatt und verfolgt doch im Grunde einen entgegengesetzten Ansatz. Nicht gleiche Rechte für alle unabhängig von Identitäten (so wie sie, nach meiner Lesart, die Autorin hier fordert), sondern bestimmte Rechte nur für bestimmte ethnische Identitäten – Faschodenke eben.

        Dass dieser Dreck, zumindest bei uns taz-Leser_innen, mittlerweile schon so automatisch aufpoppt, ist wirklich kein gutes Zeichen, befürchte ich.

        • @Ruhig Blut:

          Danke - einer der sich nicht mit Erbsenzählerei aufhält.

           

          (Anderes erinnert mich a weng an die

          Dreistdämliche Rede vom Haupt- &

          Nebenwiderspruch!)

          • @Lowandorder:

            Ja, daran erinnert’s mich auch. Mir scheint, dass diese Linie in letzter Zeit und als Reaktion auf den Erfolg der Rechten wieder ziemlich Aufwind hat.

  • Audre Lorde war doch in der zweiten Frauenbewegung schon ein großes Thema. In fast jedem lesbisch-feministischen Haushalt stand ein Buch von ihr. http://www.deutschlandradiokultur.de/die-soziologin-dagmar-schultz-pionierin-der-deutschen.970.de.html?dram%3Aarticle_id=377830

    Auf den Lesbenpfingststreffen war Rassismus auch immer wieder Thema. Die Emma hatte WOC immer wieder im Heft.

    Es gibt/gab nie DIE Frauenbewegung, es waren immer diverse parallele Bewegungen.

  • "Identitätspolitik ist politische Notwehr."

     

    Aha - und was ist dann die "Identitäre" Bewegung? Auch "politische Notwehr"? Ach so ne, "Identität" dürfen alle haben, außer Deutschen...

  • 8G
    849 (Profil gelöscht)

    "Dass Nichtweiße eine Erfindung weißer Identitätspolitik sind..."

     

    Wenn das so einfach wäre, würde umsteuernde Politik alles zum Guten wenden können. Wenn sich in einer Gesellschaft Gruppen durch "Andersartigkeit" gleich welcher Art bilden, ergibt sich bei der nicht direkt mit diesen Gruppen befassten Mehrheit ein Rekurs auf das Schema Wir-Die. Das galt für die Gastarbeiter der 60er ebenso wie heute für die Flüchtlinge.

     

    Sobald Teile dieser Mehrheit mit diesen Gruppen zu tun haben, wird das "Fremde" umso weniger als (ein)teilend verstanden, je intensiver der Kontakt. Es wird in die Mehrheit integriert, so wie Integration stets von der Mehrheit ausgehen muss und keine Aufgabe der Minderheit ist.

     

    Andererseits ist unbezweifelbar, dass Hitlers "Politik" dazu geführt hat, Deutsche jüdischen Glaubens oder "Herkunft" in der Vorstellung einer Mehrheit aus dem "Volk" auszusondern und - wieder - als fremd wahrzunehmen. Dass "die Juden" jedoch auch vor Hitler Anfeindungen ausgesetzt waren und einen beschwerlichen Weg Richtung "Integration" hinter sich hatten, spricht für die Leichtigkeit, mit der sich die Politik vorhandener Ressentiments bedienen und diese schüren kann (wie es heute nicht nur die AfD, sondern auch die CSU tut). Dass diese Ressentiments jedoch allein aus der Politik resultieren, bezweifle ich.

     

    Ich frage mich zudem, ob das Herausstellen des Problems im Sinne der Emanzipation einzelner Gruppen eine Lanze bei jenen bricht, die dieses Problem aufgrund ihrer eingewurzelten Ressentiments verdrängen und ihre Probleme auf jene abwälzen, die ihnen fremd dünken. Der Kampf bedarf daher ganz sicher eines allgemein emanzipatorischen Impetus, für den mir die Hervorhebung der Einzelinteressen aber kontraproduktiv scheint, indem sie der Mehrheit just dieses "Wir zuerst" entgegenschleudert, wo diese doch "Wir (alle) gemeinsam" erwartet.

    • 8G
      85198 (Profil gelöscht)
      @849 (Profil gelöscht):

      "Weiße" sind eine Erfindung "weißer" Identitätspolitik.

      Wenn ich mich so ansehe, dann bin ich pink, ein bißchen wie ein Schweinchen ;-).

      Was haben sich die Kolonialherren und besonders die -damen nicht alles bemüht, um weiß zu sein in der Südstaatensonne. Immer einen Sklaven dabei, der den Sonnenschirm hält und Tonnen von Puder damit niemand sieht, wenn man mal rot wird.

  • > Was weiß eine Alice Schwarzer schon von der Lebensrealität, den Bedürfnissen von Frauen of Color?

     

    Genitalverstümmelung und autoritäre religiöse Ideologien wie der Islamismus waren schon immer Thema bei Alice Schwarzer. Beides betrifft ganz überwiegend nicht weiße.

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)

    1990, Rathaus einer mittelgroßen (eher mittelkleinen) Satellitenstadt im Kölner Umland. Ich bin der einzige im Kundencenter (Großraum) der Stadtverwaltung. Ein eindeutig homosexueller Mitarbeiter sagt zu mir: "Doppelstaatler" bedienen wir in der Warteschlange nebenan."

     

    Nach der Anekdote jetzt zum Thema: die Überwindung der Entsolidarisierung der ökonomisch benachteiligten Bio-Einheimischen einerseits und der benachteiligten Einwohner ohne 100%ige Deutschtumsmerkmale wäre die wichtigste Aufgabe.

     

    Was langfristig für beide Gruppen am wichtigsten wäre, ist eine längere gemeinsame Lernzeit in der Grundschule. Nicht nur weil die ganze Welt es so macht (außer DE und AT), nicht nur wegen der Chancengleichheit, sondern auch, weil man sich nach 6-8 Jahren vielleicht auch im Erwachsenenalter besser versteht und immer noch was zu sagen hat.

    Desinteresse der Politik, destruktives Interesse der obskuren Elterninitiativen (siehe Hamburg) zementieren diesen untragbaren Zustand.