Serie „Tender Hearts“ bei Sky und WOW: Cunnilingus ohne Zunge

Geht Sci-Fi immer nur mit Dystopie? Nein, das muss nicht sein. Bei „Tender Hearts“ gibt es gut zu lachen. Und viel Sex und Romantik mit Robotern.

Eine Frau lehnt sich an der Schulter eines Mannes an

Mila (Friederike Kempter) ist in den Roboter Bo (Madieu Ulbrich) verliebt Foto: Nik Konietzny/Odeon Fiction/Sky Deutschland

Man mag sie mit dem Begriff „Near Future“ versehen oder – angelehnt an Science Fiction – als „Now-Fi“ bezeichnen. Sicher ist: Geschichten, die in der unmittelbar bevorstehenden Zukunft spielen, sind derzeit schwer angesagt. Fast immer werden dabei Ängste und Bedrohungsszenarien aufgegriffen, die bereits heute in der Luft liegen; heraus kommen entsprechend meist finstere Dystopien. „Tender Hearts“ beweist: Das geht auch anders.

Die aus acht knapp halbstündigen Episoden bestehende Serie verortet sich klar im Genre der romantischen Komödie, und so ist Protagonistin Mila (Friederike Kempter) eine typische RomCom-Heldin um die 40. Beruflich ist die Game-Programmiererin leidlich erfolgreich und kann angenehmerweise in der Regel im Homeoffice arbeiten, was nicht zuletzt deswegen praktisch ist, weil ihr Großstadt-Apartment ein ausgesprochen schickes ist, mit tollem Blick und einem netten, kleinen Balkon, auf dem sie sich liebevoll um ein paar Pflanzen kümmern kann. Nur in Sachen Liebe läuft es nicht: Über die letzte längere Beziehung ist Mila noch längst nicht hinweg, und ihre Verabredungen verlaufen meist so mies, dass ihre Bewertungen auf der Dating-App ordentlich in den Keller gehen.

Kein Wunder also, dass sie empfänglich ist für die Werbung der Firma Tender Hearts. Dort hat man humanoide Roboter entwickelt, die sich mindestens optisch kaum von echten Menschen unterscheiden lassen und sich perfekt als Lebensgefährten eignen. Mila entscheidet sich für das Model „Friendly Bo“ (Madieu Ulbrich), Typ: gepflegter, gebildeter Softie, geliefert im lebensgroßen Postpaket. Einmal aufgeladen, ist Mila nicht enttäuscht von ihrer Anschaffung.

Hingucker Bo kann sogar essen und trinken (solange man regelmäßig den Beutel leert). Seine zarte Kunststoffhaut mag ein wenig seltsam riechen, doch dafür erfüllt er gewissenhaft jeden Wunsch, vom Wohnungsputz bis Sex. Gerade in Sachen Cunnilingus entpuppt er sich, obwohl gar nicht mit einer Zunge ausgestattet, als echter Meister! Doch das Menschwerden dieser Maschine ist ein Lernprozess mit einigen Fallstricken – für beide Seiten.

Düster fehlt

Sieht man aber einmal ab von den verschiedenen Geschlechtsorganmodellen, die sich zwischen Bos Beinen montieren lassen, sind es eher Kleinigkeiten, die in „Tender Hearts“ das Jahr 2039 als futuristische Version unserer heutigen Gegenwart markieren sollen: Textnachrichten lassen sich vom Badezimmerspiegel aus verschicken, auf U-Bahnfahrten trägt Mila eine klobige VR-Brille, um Nachrichten zu gucken. Sehr viel ausgefallener kommt diese Zukunft nicht daher, und das hat nicht nur Budget-Gründe.

„Tender Hearts“, ab 6. April auf Sky und beim Streamingdienst WOW

Autorin Eva Lia Reinegger und Regisseurin Pola Beck interessieren sich nicht wirklich für die Abgründe, die ihrer Geschichte innewohnen. Kapitalismuskritik? Big Data-Skepsis? Selbstoptimierungs-Wahn? All diese Themen, die diese Serie über künstliche Intelligenz und einen Konzern, der sich ungehindert Zugang zu Privathaushalten verschafft, mitbringt, hätten bei einer Produktion wie „Black Mirror“ Stoff für eine ganze Staffel voller Schreckensvisionen gereicht. In „Tender Hearts“ ist das höchstens schmückendes Beiwerk.

Auch die existenziellen Fragen, die am Schnittpunkt zwischen Mensch und Maschine lauern und aus denen Maria Schrader mit „Ich bin dein Mensch“ bei ähnlicher Prämisse eine leichtfüßig-philosophische Liebeskomödie zauberte, werden hier nicht ausgelotet.

Stattdessen ist „Tender Hearts“ Beziehungskomödie durch und durch: wenig tiefschürfend, aber meistens unterhaltsam. Das Ensemble ist dabei ein großes Plus. Kempter trifft gewohnt gut den richtigen Humor-Ton, noch mehr Spaß machen Heike Makatsch als ihre egozentrische Schwester, Vladimir Korneev als ihr polyamourös-queerer bester Freund oder Marie-Lou Sellem, die beim Anpreisen von kostspieligem Roboter-Zubehör Sätze sagen darf wie: „Wir wollten den Penis ernst nehmen in seiner Ästhetik!“ Überhaupt: der unverkrampfte Umgang mit weiblicher Lust an Sexualität ist unbedingt erfreulich. In die alte RomCom-Falle, die Protagonistin fast ausschließlich über ihr Verhältnis zu Männern zu definieren, tappt die Serie dann allerdings trotzdem.

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