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Serie „About Sasha“ wird unterschätztWut, Melancholie und ein Neuanfang

Teenagerin Sasha ist inter*. Nach einem Umzug beginnt sie, öffentlich als Mädchen zu leben. „About Sasha“ ist das Serien-Ereignis des Jahres.

Angèle Metzger brilliert in ihrer Rolle als Sasha Foto: Marechal Aurore/ABACA/picture alliance

Still und leise hat sich Anfang Juni eine Serie ins Programm von Disney+ geschlichen, die zu den sehenswertesten und erstaunlichsten der vergangenen (mindestens) anderthalb Jahre gehört, ohne dass jemand hierzulande davon wirklich Notiz genommen hätte. Oder auch nur der Streaminganbieter selbst darauf hingewiesen hätte: nicht einmal in der hauseigenen, als Newsletter verschickten Monatsvorschau tauchte „About Sasha“ auf. Weswegen es an dieser Stelle hier umso nachdrücklicher betont werden soll, dass diese französische Produktion, die im Original deutlich weniger generisch „Chair tendre“ (also: zartes Fleisch) heißt, etwas sehr Besonderes ist.

Zunächst scheint „About Sasha“ eine Jugendserie wie viele andere zu sein. Sasha (Angèle Metzger) ist mit ihren Eltern (Daphné Bürki & Grégoire Colin) und der jüngeren Schwester Pauline (Saul Benchetrit) aus Paris in die Provinz gezogen. Zu Hause ist die Stimmung nicht spannungsfrei, aber noch schwieriger gestaltet sich natürlich der Neuanfang in der Schule.

Neue Freundschaften knüpfen, einen eigenen Platz in längst bestehenden Gruppendynamiken finden, dazu die übliche Mischung aus Neugier, Begehren, Eifersucht und Scham, die jedem Teenager zu schaffen macht. Doch für die androgyn wirkende Siebzehnjährige hat das Navigieren der Postpubertät noch eine ganz andere Dimension als für ihre Mitschüler*innen.

Sasha nämlich ist intersexuell, wie sie es selbst nennt. Bei der Geburt ließen sich die körperlichen Geschlechtsorgane nicht eindeutig als weiblich oder männlich einordnen, was – wie häufig in solchen Situationen – eine Verunsicherung der Eltern und vor allem eine Pathologisierung durch wahlweise unerfahrene oder vorurteilsbehaftete Ärz­t*in­nen nach sich zog.

Begleitet von jahrelangen Operationen, unbeantworteten Fragen und Bullying in der Schule wurde Sasha als Junge großgezogen, erst spät erfährt sie selbst von der Diagnose Intersexualität und entschließt sich mit dem Umzug, als Mädchen zu leben. Doch auch wenn das in gewisser Hinsicht eine befreiende Erleichterung bedeutet, heißt das natürlich noch lange nicht, dass diese noch neue Situation für irgendwen leicht ist.

Was sich liest wie der tragische Stoff für eine Depri- oder Aufklärungsserie, ist in Wirklichkeit eine bemerkenswert leichtfüßige und an bewährten Coming-of-Age-Mustern entlang erzählte Annäherung an ein filmisch noch wenig erschlossenes Thema.

Wissen und zarte Verletzlichkeit

Regisseurin und Drehbuchautorin Yaël Langmann, die sich von einer eigenen Schulfreundschaft zu dieser Geschichte inspirieren ließ, gelingt es, eine recht universelle (und nicht selten sehr amüsante) Jugenderfahrung zwischen Überschwang und Einsamkeit einzufangen, und dabei trotzdem eindrücklich von der spezifischen Lebensrealität von inter Menschen zu erzählen. Für Letzteres dienen ihr dabei nicht zuletzt Sashas Telefonate mit Mentor Loé (verkörpert von Lysandre Nury vom Collectif intersexe activiste). Diese Gespräche vermitteln – stimmig in die Story eingefügt – Wissen, ohne lehrbuchartig zu wirken.

Überhaupt: Zwischen atmosphärischen Bildern (Kamera: Yoann Suberviolle) und reizvollem Elektro-Score (Musik: Adrien Durand) balanciert Langmann all ihre Bestandteile über zehn knapp halbstündige Episoden verteilt erfreulich geschickt aus. Sashas neue, bei weitem nicht bloß heteronormative Clique besteht nicht nur aus Stereotypen, und vor allem die einzelnen Familienmitglieder bekommen genug Raum, damit man auch ihr jeweiliges Ringen mit der Situation nachvollziehen kann. Letztlich aber dreht sich natürlich alles um Sasha – und Hauptdarstellerin Angèle Metzger ist in der Rolle eine Offenbarung.

Wie sie und Langmann gemeinsam in dieser Serie Sashas zarte Verletzlichkeit, aber auch lange angestaute Wut und sich aus Überforderung speisende Melancholie in jeder einzelnen Szene spürbar machen, ist ungemein eindrucksvoll. Wie überhaupt die jugendliche Selbstfindung zwischen traumatischen Erinnerungen und hoffnungsvollem Neuanfang hier enorm wahrhaftig, menschlich und thematisch auf der Höhe der Zeit festgehalten wird. Mag sein, dass „About Sasha“ – auch angesichts der zurückgenommenen Farbgebung – auf den ersten Blick ein wenig unscheinbar daherkommt. Doch spätestens auf den zweiten ist die Serie rundum ein ziemlich außergewöhnliches Ereignis, das man nicht verpassen sollte.

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