Serbien kooperiert mit dem Haager Tribunal: Gegenleistung für den Kopf von Hadzic
Nach der Festnahme des mutmaßlichen Kriegsverbrechers wollen die Menschen, die unter einer hohen Inflation und Arbeitslosigkeit leiden, dass Europa sie belohnt.
BELGRAD taz | Wenn es sich ein Staatspräsident nicht nehmen lässt, eine Pressekonferenz einzuberufen, um die Verhaftung eines weltweit relativ unbekannten Mannes mitzuteilen, handelt es sich aus seiner Sicht um ein Ereignis von politischer Bedeutung. Boris Tadic trat am Mittwoch allein vor die schreibende Zunft und teilte mit, dass der letzte vom Haager Kriegsverbrechertribunal gesuchte Serbe, Goran Hadzic, verhaftet worden sei: "Damit hat Serbien seine internationale Verpflichtung und seine moralische Pflicht erfüllt. Eine schwierige und sehr finstere Seite unserer Geschichte ist abgeschlossen."
Tadic betonte, Serbien habe keineswegs auf Druck gehandelt, "unser Staat beugt sich vor keinem Druck", er habe versprochen, "dieses Geschäft zu beenden", und das habe er getan.
Sowohl in Serbien, als auch weltweit, gab und gibt es Erwartungen, weil nun die Zusammenarbeit zwischen Belgrad und dem Kriegsverbrechertribunal positiv beendet sei, könne Serbien auf schnellere und günstigere Behandlung seiner Beitrittswünsche in die EU hoffen. Der Präsident warnte jedoch, die Verhaftung sei nicht deshalb erfolgt, sondern "wegen der Opfer, der Versöhnung und der Glaubwürdigkeitaller Staaten des Westbalkans, wegen eine Veränderung der Wertsysteme."
Tatsächlich war Goran Hadzic kein bedeutender Akteur der Tragödie im ehemaligen Jugoslawiens. Trotz seines Titels eines "Präsidenten der serbischen Krajina" hatte er auf dem Gebiet, das ihm formal unterstand, wenig zu sagen, er durfte Schmuggelgeschäfte betreiben. Die Befehlsgewalt hatten der Bandenführer Zeljko Raznatovic, genannt Arkan, und der serbische Polizeichef Radovan Stojicic, genannt Badza. Beide wurden, weil unbequem geworden, unter rätselhaften Bedingungen in Serbien erschossen. Hadzic wird in Haag versuchen zu beweisen, dass er von den ihm zur Last gelegten Kriegsverbrechen wenig oder gar nichts wusste. Demzufolge ist seine Auslieferung vor allem ein symbolischer Akt.
Erwartung: Europa müsse belohnt werden
Der Präsident Kroatins, Ivo Josipovic begrüßte die spektakuläre Verhaftung des mutmaßlichen Kriegsverbrechers, der in Kroatien geboren wurde und seine Taten in Kroatien verübt hat, als "gut für die gutnachbarlichen Beziehungen" Serbiens und Kroatiens und erklärte, "dass sich Serbien endlich zu einer kompletten Zusammenarbeit mit dem Tribunal" entschlossen habe, Ratko Mladic und Goran Hadzic hätten sich über all die Jahre in Serbien versteckt gehalten.
Boris Tadic mag beschwichtigen, aber in Serbien wurde die Erwartung geweckt, jetzt müsse man von Europa belohnt werden. Die Serben, die unter extrem hoher Inflation und steigender Arbeitslosigkeit leiden, interessiert nur eines: ob man Aussichten auf Erleichterungen hat. Anders als General Mladic, ist der ehemalige Lagerarbeiter Hadzic fast jedem egal.
Trotzdem schreien die nationalistischen Oppositionsparteien, vor allem die Radikalen, deren Führer, Vojislav Seselj, längst in Haag einsitzt, wieder sei ein Serbe Europa geopfert worden. Das glaubt ein Teil der Masse, will aber eine Belohnung dafür. Die liberale Opposition um Cedomir Jovanovic begrüsst die Verhaftung, aber die Art und Weise, wie sie durchgeführt wurde, nennt sie ein unwürdiges Spektakel.
Freilich gibt es Kreise in Serbien und Kroatien, die besorgt sind und schweigen. Wenn Hadzic Doppelagent war, der auf Wunsch von Slobodan Milosevic und Franjo Tudjman den Bürgerkrieg mitzuschüren half, könnte er in Haag auspacken. Dazu befragt schmunzelt der Belgrader Staranwalt Toma Fila geheimnisvoll. Er vertritt nicht nur Hadzic, sondern in Vermögensfragen auch Titos Witwe Jovanka.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja