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Zitat: „Wenigstens warnte der Nachrichtensprecher im italienischen Staatsfernsehsender RAI...“
Wenigstens? Soll mich das trösten? Ich meine: Wenn die Zuständigen beim italienischen Staatsfernsehen „frei von Skrupeln“ sind, hat das doch vermutlich damit zu tun, dass sie ihre Verantwortung einfach delegiert haben, oder? Mit einer launigen Floskel übertragen sie die moralische Verantwortung für ihr eigenes (Nicht-)Handeln einfach auf Menschen, die gar nicht bezahlt werden dafür, dass sie sie übernehmen. Das ist ungefähr so, als wenn konflikt- und arbeitsscheue Eltern ein Kindermädchen einstellen, das zwar keinerlei Befugnisse hat, aber trotzdem geteert und gefedert werden darf, wenn sich der zu betreuende Nachwuchs zu ausgewachsenen Mistkäfern entwickelt.
Im übrigen kann ich die Behauptung, „in Deutschland [sei] seinerzeit exakt das Gegenteil [geschehen]“, nicht nachvollziehen. Klar, das kann daran liegen, dass mir der RAI als Referenzgröße nicht zur Verfügung gestanden hat. Ich spreche kein Italienisch. Mir ist nur aufgefallen in den letzten Italien-Urlauben, dass auf italienischen Sendern noch mehr und noch druckvoller geredet wird als auf deutschen, weswegen sie für mich nicht mal als Unterhaltungsprogramme in Betracht kommen. Aber was heißt das schon?
Aufgefallen ist mir hingegen ganz deutlich, dass sich die öffentlich-rechtlichen Sender in Deutschland seit Jahren anpassen an das Niveau der Privaten - mit Betonung auf dem au. Konkurrenz mag das Geschäft ja mitunter beleben, gänzlich unreguliert kann sie der Qualität und vor allem auch der Moral aber trotzdem extrem abträglich sein. Echt Mist, wenn zwar das Sein das Bewusstsein bestimmt, umgekehrt aber nur Sendepause ist.
Wie auch immer. Momentan sehe ich jedenfalls eher schwarz. Auch für den deutschen Mediensektor. Und zwar nicht nur, weil ich immer öfter gar nicht erst auf den Einschalt-Knopf drücke.
Bei der Friedensdemo im Berliner Tiergarten ist BSW-Gründerin Sahra Wagenknecht die Umjubelte – ganz im Gegensatz zu SPD-Mann Ralf Stegner.
Sensationsberichterstattung in Italien: Frei von Skrupeln
In Italien verbreiten staatliche Medien das Video vom Seilbahnabsturz im Mai. Krawalljournalismus ist seit Berlusconi hegemonial geworden.
Die abgedeckte Unglücksstelle am 26. Mai in Mottarone, Norditalien Foto: Luca Bruno/ap
Wenigstens warnte der Nachrichtensprecher im italienischen Staatsfernsehsender RAI: Das nun folgende Video könne die Gefühle empfindlicher Zuschauer verletzen, teilte er in der News-Sendung am Mittwochmittag mit. Gleich darauf durfte das Publikum dem Seilbahnunglück vom Mottarone in Norditalien beiwohnen, das 14 Menschen den Tod brachte. Die Überwachungskameras der Bergstation filmten die Kabine auf den letzten Metern, filmten, wie sie sich nach dem Riss des Seils förmlich aufbäumt, dann zu Tal rast und abstürzt.
Der Informationswert des Videos liegt bei null, denn der genaue Hergang des Unglücks ist hinreichend bekannt, der Sensationswert – so haben sich wohl die RAI-Redakteur*innen gesagt – dagegen bei hundert. Und der zählt in Italien auch in vorgeblich seriösen Medien wie dem Staatssender RAI deutlich mehr als in anderen Ländern, etwa in der britischen BBC oder den deutschen Öffentlich-Rechtlichen.
„Witwenschütteln“ nennt man diese unappetitliche Form eines Journalismus, der auf die Opfer und ihre Angehörigen keine Rücksicht nimmt, sondern ihnen auf die Pelle rückt, um den Voyeurismus des Publikums zu bedienen. In Deutschland verrichtet vorneweg die Bild diesen Job – in Italien tun es dagegen so gut wie alle Medien. Als dort seit Anfang der 80er Jahre die privaten Berlusconi-Sender stark wurden, erwies sich deren aggressiver Nachrichtenjournalismus schnell als hoffähig.
Schlimmer noch: Er wurde hegemonial. Denn Italiens Staatsfernsehen setzte darauf, die Privaten zu kopieren, um im Wettbewerb um die Einschaltquoten zu bestehen. In Deutschland geschah seinerzeit exakt das Gegenteil: Die Privaten, ob RTL oder Sat.1, bemühten sich um den seriösen Anstrich, den sie von ARD und ZDF abschauten.
Aus allen politischen Lagern hagelt es jetzt harte Schelte für die RAI, und selbst deren Präsident distanziert sich von jenen Redakteur*innen, die frei von Skrupeln das Video ausstrahlten. Doch ändern wird sich nichts, denn niemand brachte den Mut auf, über den Einzelfall hinaus generell das Modell der Krawallberichterstattung infrage zu stellen.
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Kommentar von
Michael Braun
Auslandskorrespondent Italien
Promovierter Politologe, 1985-1995 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Unis Duisburg und Essen, seit 1996 als Journalist in Rom, seit 2000 taz-Korrespondent, daneben tätig für deutsche Rundfunkanstalten, das italienische Wochenmagazin „Internazionale“ und als Wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Büro Rom der Friedrich-Ebert-Stiftung.
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