Sensation im niederländischen Fußball: Triumph der Provinz
In den Niederlanden staunt man über den Pokalsieg der Go Ahead Eagles aus Deventer. Im tiefen Osten des Landes kennt der Jubel kaum Grenzen.
Kaum etwas, das sich in diesem Wettbewerb ereignet, schafft die Aufnahme in die gerne zitierten „Geschichtsbücher“. An diesem Ostermontag war das anders: Beim Cup-Finale, traditionell im Rotterdamer Stadion De Kuip ausgetragen, gewannen im 123. Jahr ihrer Vereinsgeschichte erstmals die Go Ahead Eagles aus Deventer.
Als nach dem Match gegen AZ Alkmaar, immerhin das, was man hierzulande einen „subtopper“ nennt und daher häufiger Gast in europäischen Wettbewerben, rotes und gelbes Konfetti in den Nachthimmel über Rotterdam-Süd geschossen wurde, bekamen sich die Kommentatoren schier nicht mehr ein über die „historische“ Leistung der Eagles: nach einer vergebenen Riesenchance in der 95. Minute zwei Minuten später mit der letzten Aktion des Spiels per Handelfmeter zum 1:1 ausgeglichen, um dann nach torloser Verlängerung das favorisierte AZ im Elfmeterschießen niederzuringen. Im Zentrum: der belgische Keeper Jari De Busser, der mit zwei parierten Elfmetern hintereinander den Cup nach Deventer holte.
Deventer also. Ein Städtchen von etwas über 82.000 Bewohner:innen, tief im Osten der Niederlande, irgendwo zwischen Apeldoorn und der deutschen Grenze an den Ufern der Ijssel gelegen, einst zur Hanse gehörend, mit einer markanten Zugbrücke über den Fluss und überaus pittoreskem Zentrum. Eine Provinzschönheit in diesem Land, dessen metropol geprägter Westen den ländlichen Osten beherrscht, wirtschaftlich, politisch, fußballerisch. Die Großdemonstrationen der Bäuer*innen forderten diese Ordnung vor ein paar Jahren heraus. Die Go Ahead Eagles zogen nun auf dem Fußballplatz nach.
„Wie ein WM-Finale“
Am Tag danach feierten auch die Titelseiten den Pokal-Coup als „historisch“. Die Regionalzeitung De Stentor, Leitmedium der östlichen Niederlande, bot die ihre gar als gerahmte Sonderausgabe zum Kauf an und berichtete detailliert, „wie Deventer nach einem Abend voll Unglauben“, an dem „kein Bier mehr zu kriegen war“, erwachte. Für den Zustand der Stadt findet sie poetische Worte: „Wie ein Boxer, der sich am Rand des Rings von einem unerwarteten Sieg erholt. Aber niemand, der sich darum kümmert, denn sie haben den Pokal.“
Nun ist es nicht so, als hätte Go Ahead, dessen regionale Aussprache als Kowet sich längst auf Spielkleidung und Merchandising der Rot-Gelben wiederfindet, nie etwas gewonnen. Die vier Meisterschaften jedoch fielen in die frühe Klubgeschichte. Seit 1933 war man titellos und fristete bis zum letzten Aufstieg in die Ehrendivision 2021 ein Dasein als Fahrstuhlmannschaft – auch wenn im heimischen „Adlerhorst“ genannten Stadion öfter Überraschungen gegen favorisierte Gegner gelangen. Höhepunkt des Daseins als heißgeliebter, aber peripherer Klub ist gemeinhin das Ijssel-Derby gegen das verhasste PEC Zwolle.
Der aus Deventer stammende Schriftsteller Özcan Akyol setzte dessen tagelangen bacchanalischen Auswüchsen vor Jahren mit der Geschichte „Die Schlacht um die IJssel“ ein Denkmal in der literarischen Fußballzeitschrift Hard Gras. Am Ostermontag veröffentlichte Akyol auf X Fotos von gelb-rot geschmückten Straßen, die an die „Oranje-Straßen“ während großer Turniere erinnern. „Es ist schwer zu erklären für Leute, die nicht in Deventer wohnen“, versuchte er es trotzdem. „Aber wir leben auf ein Spiel hin, das sich anfühlt wie ein WM-Finale.“
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