Sendezeit fürs Klima: Das Fernsehen setzt Klimathemen
Laut einer Studie der Uni Hamburg ist das Klima im öffentlich-rechtlichen Fernsehen mittlerweile häufiger Thema. Wird das der Klimakrise gerecht?
Es läuft die „Aktuelle Stunde“, eine Infosendung im WDR-Fernsehen. Die Moderatorin wendet sich zum Bildschirm hinter ihr, auf dem die Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer zu sehen ist, zugeschaltet von der Weltklimakonferenz (COP) im ägyptischen Scharm al-Scheich im November 2022. Die Frage der Moderatorin: „Wie kann die Klimabewegung Aufmerksamkeit für ihre Ziele schaffen?“ Neubauer tritt ungeduldig vom einen Fuß auf den anderen, während sie noch das Ende der Frage abwarten muss. „Ehrlicherweise würde ich die Frage gern zurückgeben“, antwortet sie dann. Die Aufmerksamkeit auf die Klimakrise zu lenken und für Klimaschutz einzustehen, sei die „Riesenaufgabe der Medien“.
Wie oft speziell die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender dieser Riesenaufgabe bisher Rechnung getragen und das Klima thematisiert haben, hat ein vierköpfiges Team aus Kommunikationswissenschaftler:innen der Uni Hamburg untersucht. Das Ergebnis: Im Gesamtprogramm des Ersten, ZDF und WDR-Fernsehens hat die Klimaberichterstattung in den letzten zwei Jahren zugenommen. In der „Tagesschau“ wird seit 2018 immer häufiger über die Klimakrise gesprochen. Bis dahin war sie jedoch kaum Thema, und auch jetzt ist noch „viel Luft nach oben“, wie es in der Studie heißt.
„Dass die Klimaberichterstattung zugenommen hat, ist auf jeden Fall eine gute Nachricht“, sagt Robin Tschötschel, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hamburger Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft und Erstautor der Studie. Allerdings hätten andere Krisen, etwa die Coronapandemie, im Programm eine deutlich größere Rolle gespielt. Und auch mit einem strukturellen Thema wie der Wirtschaft habe die Klimakrise nicht mithalten können.
Die Forscher:innen beziehen sich auf zwei verschiedene Datensätze: Zum einen haben sie die Sendungen der „Tagesschau“ im Langzeitverlauf, von November 2007 bis Oktober 2022, ausgewertet. Zum anderen wurde das Gesamtprogramm im Ersten, ZDF und WDR-Fernsehen zwischen Juli 2021 und September 2022 mitgeschnitten und analysiert. Tschötschel und sein Team haben die Tonspuren der insgesamt fast 2 Millionen Sendeminuten computergestützt in Text umgewandelt und dann erhoben, wie oft in diesen Texten der Begriff „Klima“ fällt.
Ein „verlorenes Jahrzehnt“
Die Zeit von 2009 bis 2018 nennt der Erstautor ein „verlorenes Jahrzehnt“ für die Klimaberichterstattung: Die Summe der Tage, an denen über diese neun Jahre hinweg in der „Tagesschau“ überhaupt nicht über das Klima gesprochen wurde, entspricht ganzen 8,2 Jahren. „Klima war vor allem Thema, wenn es einen Anlass gab: wenn gerade mal wieder eine COP, eine Wahl oder vielleicht ein anderes Gipfeltreffen stattfand“, so Tschötschel.
Mit dem Hitzesommer 2018, der UN-Klimakonferenz in Katowice und der wachsenden Fridays-for-Future-Bewegung wurde die Klimakrise in der Tagesschau präsenter. Seitdem gab es keine großen Lücken mehr, keine Phasen ohne jegliche Klimaberichterstattung. Doch selbst 2019, dem Jahr mit der bisher intensivsten Klimaberichterstattung, machten Klimathemen nur durchschnittlich 8,4 Prozent der Sendeminuten aus. Im Gesamtprogramm der untersuchten Fernsehsender kommt das Klima zwischen 2021 und 2022 auf nur 1 bis 2,4 Prozent der Sendezeit.
„Wir haben uns auch angeschaut, in welchen Sendeformaten das Klima Thema ist“, ergänzt Robin Tschötschel. Zwar werde es nicht mehr nur in den Nachrichten, sondern auch in Politiksendungen oder Comedyformaten aufgegriffen. „Aber im ganzen Unterhaltungsprogramm, das den Großteil des Gesamtprogramms ausmacht, kommt das Klima kaum vor.“
Fehlende Bildanalyse
Die Studie erschien Mitte Januar in der ARD-nahen Fachzeitschrift Media Perspektiven und kann online gelesen werden. Dass Medien dem Klima zwar immer mehr, aber immer noch ziemlich wenig Raum geben, zeigte sich auch in anderen Studien – bisher wurden jedoch vor allem textbasierte, also Print- oder Onlinemedien untersucht. „Unsere Studie hat natürlich ihre Grenzen, zum Beispiel weil wir nur die Tonspuren und nicht die Bildinhalte analysiert haben“, räumt Tschötschel ein. Außerdem sei eben nur die Häufigkeit des Begriffs Klima festgestellt worden. „Aber sie ist ein erster Schritt.“
Friederike Mayer, freie Journalistin und Vorsitzende des Vereins „Klima vor acht“, unterstreicht: „Die Studie liefert eine wichtige wissenschaftliche Datenbasis im Bezug aufs Fernsehen, die es vorher nicht gab.“ Mit ihrem Verein setzt sie sich dafür ein, dass im öffentlich-rechtlichen Fernsehen häufiger und hintergründiger Klimainformationen vermittelt werden – am besten regelmäßig zur Primetime. Mayer erzählt, dass „Klima vor acht“ selbst schon Programmauswertungen erstellt habe, die zu ähnlichen Ergebnissen kamen. „Die haben die Sender aber nicht ernst genommen“, sagt die Sprecherin – umso wichtiger sei deshalb die Forschung der Uni Hamburg.
Auf Anfrage der taz schreibt ein Sprecher des ZDF, dass der Sender die Studie der Hamburger Wissenschaftler:innen um Robin Tschötschel „mit Interesse zur Kenntnis genommen“ habe. Er verweist darauf, dass das ZDF Klimathemen auch auf digitalen Plattformen behandle, die nicht in die Studie eingeflossen sind – online lasse sich etwa im „Klimaradar“ von „ZDF heute“ der weltweite CO2-Ausstoß verfolgen. Ende Februar startet im ZDF die Serie „Der Schwarm“, eine Verfilmung des Ökothrillers von Frank Schätzing – ein Beispiel dafür, dass Klima und Umwelt auch ins Unterhaltungsprogramm Einzug halten können.
Klima als Querschnittsthema
Marcus Bornheim, erster Chefredakteur von „ARD-aktuell“, sagt ebenfalls, dass das lineare Programm nicht alles ist: „Auf unserem digitalen Nachrichtenkanal Tagesschau24 haben wir die ‚Klimazeit‘ eingeführt“ – eine Sendung, die ausschließlich Klimathemen behandeln soll. Einmal in der Woche erscheint online eine neue Folge. Bornheim sagt, die ARD nehme Klima natürlich als Querschnittsthema wahr, das in allen Fachressorts, von Wirtschaft über Kultur hin zu Sport, eine Rolle spielt. Für die „Tagesschau“ um 20 Uhr im Ersten sieht er allerdings nicht viel Spielraum: Die Sendung folge dem, was aktuell passiert. „Wenn wir eine Bundestagsdebatte abbilden und in dieser Debatte das Wort Klima nicht vorkommt, können wir auch nicht über das Klima berichten.“
Robin Tschötschel meint, dass die Sender stärker in der Verantwortung stehen: „Gerade wenn das Thema Klima in der Politik gerade nicht so aktiv bespielt wird, können Medien es auf die Agenda setzen.“ Der Forscher und seine Kolleg:innen seien deshalb immer mal wieder im Austausch mit Verantwortlichen der Rundfunkanstalten, zuletzt auch nach der Veröffentlichung der Studie. „Man muss Leute nicht mehr davon überzeugen, dass der Klimawandel real oder politisches Handeln nötig ist“, sagt Tschötschel. Vielmehr gehe es darum, konstruktiv aufzuklären – und darüber zu berichten, wo sich nicht nur auf individueller Ebene, sondern strukturell etwas verändern lässt. Zum Beispiel in einem Beitrag über eine Unternehmerin, die das Energie- und Abfallmanagement ihres Betriebs klimafreundlicher gestaltet.
Neu sind die Vorschläge nicht. Im April 2022 veröffentlichte das Netzwerk Klimajournalismus eine Charta. Die Kernpunkte: Klima dürfe nicht als eigenständiges Thema behandelt, sondern müsse als „eine Dimension jedes Themas“ gedacht werden – analog etwa zu Demokratie oder Menschenrechten. Der Verein „Klima vor acht“ brachte im Mai 2022 außerdem den Sammelband „Medien in der Klimakrise“ heraus: Darin sprechen sich verschiedene Wissenschaftler:innen und Journalist:innen zum Beispiel auch für einen Klimajournalismus aus, der Probleme erklärt, einordnet und gleichzeitig Lösungswege aufzeigt.
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