Senator mit Bleibeperspektive: „Keine Gefahrengebiete mehr“
Hamburgs neuer Innensenator Andy Grote (SPD) im Interview über Sex & Drugs, die Flüchtlingspolitik, sexuelle Übergriffe und den G-20-Gipfel
taz: Herr Grote, Ihr Job ist es, die offene Flanke der SPD bei der Inneren Sicherheit zu sichern. Sind Sie mehr ein SPD-Senator als ein Hamburg-Senator?
Andy Grote: Innensenator zu sein ist eine Aufgabe ausschließlich im Dienst der Stadt.
Na, dann buchstabieren Sie doch bitte mal den Begriff „Willkommenskultur“.
Das bedeutet für mich, dass wir die Flüchtlinge, die zu uns kommen, bestmöglich unterstützen und versorgen. Wir müssen sehr schnell die Bleibeperspektive klären und dann Integration auf allen Ebenen betreiben, aber auch Klarheit vermitteln über die Spielregeln, nach denen unser gesellschaftliches Zusammenleben funktioniert.
Sie gelten als jemand, der gerne feiert. Muss man jetzt aufpassen, wenn man sich im Silbersack neben Ihnen einen Joint dreht?
Ich habe nicht vor, mein Verhalten im privaten Bereich mehr als nötig zu ändern.
Als Bezirksamtsleiter haben Sie Kontakt zu linken Stadtteilaktivisten gepflegt. Verändert sich das jetzt durch Ihr neues Amt?
Sicher verändern sich die Rolle und das Auftreten ein Stück weit. Alles, was ich vorher gemacht habe, behält dabei seinen Wert. Man wird durch so ein Amt ja nicht zu einem völlig anderen Menschen. Es muss kein Nachteil sein, wenn der Innensenator auf St. Pauli lebt, ein breites Spektrum von Menschen kennt, mit ihnen sprechen kann und sie versteht.
ist seit 20. Januar Innensenator in Hamburg. Der 47-jährige Rechtsanwalt und bekennende St.-Pauli-Fan – Stadtteil und Fußballverein – leitete seit 2012 das Bezirksamt Mitte und war zuvor SPD-Abgeordneter in der Hamburgischen Bürgerschaft.
Sind derzeit verdeckte Ermittler im Einsatz?
Kein Kommentar.
Wird es auch unter einem Innensenator Grote verdeckte ErmittlerInnen geben, die – siehe Rote Flora – sogar undercover mit Autonomen vögeln?
Nicht alles, was in der Vergangenheit geschah, ist geeignet, fortgesetzt zu werden.
Zur Flüchtlingspolitik: Es gab katastrophale Pannen in der Erstaufnahme – sind die Probleme inzwischen gelöst?
Aktuell kommen wir gut zurecht. Es gelingt uns, alle ankommenden Flüchtlinge tagesaktuell zu registrieren. Allerdings haben wir für die Zahl der Flüchtlinge, die für 2016 prognostiziert wird, bei Weitem noch nicht genug Plätze.
Wie lautet die Prognose?
Wir rechnen mit 40.000, und davon fehlen noch etwa 20.000 Plätze. Die müssen wir einigermaßen gerecht über die Stadt verteilen. Ohne einige große Unterkünfte aber wird das praktisch nicht gehen können.
Der rot-grüne Senat will das Sexualstrafrecht verschärfen. Sind sexuelle Übergriffe wie in der Silvesternacht ein Problem, das sich durch mehr Polizeipräsenz lösen lässt?
Die Ereignisse von Silvester waren natürlich ein Anlass, auf allen Ebenen zu überprüfen, ob wir gut genug aufgestellt sind, auch auf der juristischen. Die Frage ist also: Geht unser Strafrecht mit solchen Vorfällen angemessen um? Die Einschätzung war: Wir müssen die Strafbarkeitsschwelle senken und den Schutz von Frauen erhöhen. Das ist der Sinn unserer Initiative im Bundesrat.
Und die Rolle der Polizei?
Richtig ist, dass wir die Polizeipräsenz vor allem an den Wochenenden erhöht haben, um Sicherheit zu gewährleisten. Die Wahrnehmung war ja: Hier kann ich als Frau nicht mehr hingehen, hier bin ich nicht geschützt. Das haben wir geändert, jetzt hat sich der normale Betrieb wieder eingestellt. Das werden wir weiter so verfolgen.
Sie haben den Repressionsdruck erhöht durch Videoüberwachung und Body-Cams: Vergnügen nur noch unter den Augen der Polizei?
Lageabhängig werden wir Kameras einsetzen. Ab einer bestimmten Menschenmenge haben wir es immer schwerer, die Übersicht zu behalten und eventuelle Straftaten zu erkennen und zu verfolgen. Die Tatverdächtigen von Silvester konnten wir nur aufgrund privater Bilder identifizieren, sonst hätten wir wohl niemanden gefasst. In Zukunft aber möchte ich nicht mehr von Zufallsfotos abhängig sein. Deshalb ist der Kameraeinsatz an bestimmten Stellen zu bestimmten Zeiten sinnvoll.
Eine andere große Herausforderung des kommenden Jahres wird der G-20-Gipfel sein: Ist der hohe Sicherheitsaufwand, der die Bewegungsfreiheit der Hamburger einengen wird, gerechtfertigt?
Eine moderne Metropole wie Hamburg ist für solche großen internationalen Veranstaltungen geeignet. Es wird allerdings zu spürbaren Einschränkungen der Bewegungsfreiheit in der Stadt kommen. Unsere Aufgabe wird es sein, das erforderliche Maß an Sicherheit zu gewährleisten und zugleich die Beschränkungen für die HamburgerInnen in erträglichem Rahmen zu halten.
In der Vergangenheit kam es bei solchen Gipfeln zu schweren Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstranten. Befürchten Sie das für Hamburg?
Das will ich nicht hoffen. G-20 ist nicht G 7 oder G 8. Da sind auch Schwellenländer dabei wie Indonesien, Südafrika oder Brasilien. Das kann ja nicht schädlich sein, wenn diese 20 Regierungen miteinander sprechen. Und die können sich ja auch nicht nur in autoritären Staaten treffen oder in der Wüste oder auf einem bayerischen Schloss. In einer offenen, demokratischen Gesellschaft könnte man solche Veranstaltungen auch so organisieren, dass auch die, die solche Gipfel kritisch sehen, in offenen Foren zu Wort kommen. Die Kritik an der Sicherheitsfrage wird aber schwierig, wenn sie von denen kommt, die die Sicherheitsmaßnahmen auslösen.
Wie wäre es mit einem großflächigen Gefahrengebiet?
Das Oberverwaltungsgericht verlangt von uns, dass wir das neu regeln. Gefahrengebiete in ihrer bisherigen Ausprägung sind ja eine Hamburgensie. Es gibt auch Regelungen in anderen Bundesländern, an denen wir uns orientieren könnten. Das klopfen wir gerade ab, ob das auch zu unseren Anforderungen in der Großstadt passt. Es wäre gut, aus dieser Hamburger Sondersituation herauszukommen.
Das heißt, Sie halten frühere Maßnahmen Ihres Amtsvorgängers und der Polizeiführung für überzogen?
Ich denke, wir sind gut beraten, wenn wir uns an das halten, was das Gericht festgestellt hat. Gefahrengebiete bisheriger Prägung kann es danach nicht mehr geben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Plädoyer im Prozess zu Polizeigewalt
Tödliche Schüsse, geringe Strafforderung
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht