Senat will Berlin-Image polieren: Bitte recht freundlich!
Das Land Berlin startet eine Freundlichkeitsoffensive. Polizisten, BVGler und alle anderen sollen jetzt nett sein. Darüber kann man nicht meckern - außer als Berliner. Ein Contra & Contra
Der Berliner muss ein Muffel bleiben
Contra von Konrad Litschko
60 Jahre war die "Berliner Schnauze mit Herz" ein Werbeslogan, ein Begriff, eine Marke für diese Stadt. Damit solls jetzt vorbei sein? Freundlich sein soll der Berliner, immer nett lächeln, verirrten Touris den Weg weisen, die Hilfsbereitschaft schön nach außen tragen! "Be Berlin" heißt jetzt also auch artig sein. Das ist Berlin nicht, das muss es auch nicht sein.
Mit einer Freundlichkeitsoffensive will sich Berlin künftig von seiner besten Seite zeigen. Unter dem Motto Herz & Schnauze wurde eine Kampagne gestartet, mit der sich die Stadt ihren Besuchern als gute Gastgeberin präsentieren will, wie der Chef der Marketinggesellschaft Berlin Partner, René Gurka, am Montag zum Auftakt sagte. Das Programm ist Teil der Marketingkampagne "be Berlin", mit der die Hauptstadt national und international für sich wirbt.
Hier ist man halt auch mal muffelig, mundfaul und ruppig. Aber genauso auch geradeaus, tolerant und herzlich! Harte Schale und so. Man labert nur nicht gleich jeden von der Seite an. Soll jeder doch erst mal sein Ding machen. Wenn wer was will, soll ers sagen. Dann ist man natürlich auch gerne behilflich. Aber ständig jeden aalglatt angrienen? Das geht gar nicht.
Denn der Berliner Nörgelpeter, das ist eine Attraktion, über Generationen gepflegt, so schön wie die Gedächtniskirche. Der mürrische Taxifahrer, die schnoddrige Imbissdame, die ehrliche Berliner Schnauze - das gibts nur hier! Das ist Berlin! Diese schmierig zuvorkommenden Typen, mit gegelter Visage und Poloshirt, bei denen man nie so richtig weiß, was die eigentlich wirklich wollen - die trifft man doch heute überall. Wer so was will, soll doch zu denen gehen. Nach Frankfurt am Main zum Beispiel. Oder nach München. Oder gerne auch Düsseldorf! Wer das nicht will, siedelt mit seiner Familie, Edelkinderwagen und Volvo-Limousine in Prenzlauer Berg - und schimpft wie ein prächtig integrierter Migrant auf die Touristen, die mit ihren blöden Bussen den Kollwitzplatz zuparken.
Demnächst kann der Senat ja gleich noch alles weitere Berlinerische wegbügeln: Currywurst? Zu fettig für ernährungsbewusste Touris. Neuköllner Multikulti? Lieber nicht, die Araberjungs könnten die Provinz-Touris verschrecken. Marzahner Platte? Weg damit, zu ostig, zu wenig zukunftszugewandt. Kreuzberger Döner? Wer weiß, ob da nicht Gammelfleisch …?
Wer Berlin promoten will, muss Koddern zum Wahlpflichtfach machen. Für alle!
Der Berliner ist gar kein Muffel mehr
Contra von Susanne Gannott
Der Ruf der Berliner ist in der Tat sagenhaft schlecht. Noch im tiefsten Westen der Republik wächst man mit dem Wissen auf, dass der gemeine Hauptstädter anstelle eines Mundes zum Kommunizieren eine "Berliner Schnauze" zum Meckern hat. Viele haben auch schon mal gehört, dass es sich eigentlich um eine "Schnauze mit Herz" handelt - die Tiraden über alles und jeden also nichts als gut kaschierte Mitmenschlichkeit sind.
Wer nun allerdings den Umzug in die vorgebliche Hauptstadt der mosernden Maulhelden wagt, wird herbe enttäuscht: von übellaunigen Busfahrern, motzenden Supermarktkassierinnen, schnippischen Kellnern und unfreundlichen Polizisten keine Spur. Die berühmten Mecker-Berliner scheinen weniger ein Problem fürs Image der Stadt als vielmehr eine aussterbende Spezies zu sein. Darum ist die Kampagne des Senats für mehr Freundlichkeit völlig überflüssig.
Nun seis einmal dahingestellt, ob der ewig blaffende Hauptstädter nicht ohnehin dem Reich der Fabel entstammt. Inwieweit es kollektive Identitäten, seien sie regionaler oder nationaler Natur, jenseits der Einbildung überhaupt gibt - oder ob die Vorstellung von ihnen bereits genügt, um sie Wirklichkeit werden zu lassen -, ist ja bis heute Thema gelehrter Debatten.
Unbestritten dürfte dagegen sein, dass der Berliner an und für sich - ob unfreundlich oder nicht - längst Seltenheitswert bekommen hat. Man kann jahrelang hier leben, ohne je einen waschechten Berliner kennenzulernen.
Dieses Zurückdrängen der Ureinwohner durch Migranten aller Art ist ein typisches Großstadtphänomen - das die Regierenden durch Tourismus- und Imagekampagnen wie "be Berlin" nach Kräften fördern. Für die Hauptstadt hat das offenbar funktioniert. Alle Welt will Berlin sein. In diesem vielstimmigen Chor der Alt- und Neu-Berliner kann ruhig ein bisschen gemosert werden. Das fällt nicht weiter auf.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“