Senat lässt Volksbegehren nicht zu: Werbefrei? Aber nicht in Berlin!
Der Senat lehnt das Volksbegehren Berlin Werbefrei ab. Nicht mal ihren Gesetzentwurf darf die Initiative nachbessern.
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Weihnachtszeit ist Werbungszeit. Der Black Friday geht in den Cyber Monday über, und sicher kommt danach eine weitere vermeintlich unschlagbare Rabattaktion, die in den Schaufenstern der Geschäfte, auf den digitalen Leuchtreklamen an den Straßen, von den Plakaten in den Bushaltestellen den potenziellen KonsumentInnen entgegengeschrien wird. Die Initiative Berlin Werbefrei wollte diese Flut oft haltloser Verheißungen des Kapitalismus stoppen, nicht nur zur Weihnachtszeit.
Doch daraus wird – zumindest vorerst – nichts: Der Senat lehnt laut taz-Informationen das Volksbegehren ab, für das in der ersten Stufe gut 32.000 BerlinerInnen unterschrieben hatten. Begründung: Es sei materiell-rechtlich unzulässig. Und auch aus politischen Gründen will Rot-Rot-Grün das laut Entwurf vorgesehene generelle Verbot von kommerzieller Werbung im öffentlichen Raum nicht unterstützen. Am Dienstag will der Senat diese Entscheidung öffentlich bekannt geben.
Die rechtliche Prüfung des Entwurfs des Werbefreiheitsgesetzes durch die Senatsinnenverwaltung hatte mehr als 16 Monate gedauert – so lange war bisher kein anderes direkt demokratisch eingebrachtes Gesetz geprüft worden. Ein Sprecher der Verwaltung hatte das auf taz-Anfrage damit begründet, dass „ein komplexes Artikelgesetz zu unterschiedlichen Materien“ vorgelegt worden sei, für die „jeweils ein unterschiedlicher rechtlicher Rahmen gilt“. Alle acht Senatsverwaltungen waren letztlich an der Prüfung beteiligt. An der übermäßig langen Dauer gab es Kritik aus der Koalition, und selbst der Sprecher der Verwaltung musste zugeben: „Trotz der inhaltlichen Komplexität des Volksbegehrens ist die Zeitspanne sehr lang.“
Phase 1 Wer in Berlin einen Volksentscheid anstrebt, muss dafür ein Volksbegehren – in der Regel mit einem Gesetzentwurf – einleiten. Zuerst müssen mindestens 20.000 gültige Unterschriften abstimmungsberechtigter BerlinerInnen gesammelt werden. Dann prüft die Innenverwaltung den vorgelegten Entwurf. Dafür gibt es bisher keine zeitliche Begrenzung.
Phase 2 Ist der Entwurf zulässig und übernimmt das Abgeordnetenhaus ihn nicht, müssen innerhalb von vier Monaten rund 175.000 Unterschriften gesammelt werden. Danach kommt es zum Entscheid, bei dem mindestens ein Viertel der Wahlberechtigten – rund 630.000 – zustimmen und die Mehrheit bilden müssen. (taz)
Am Ende steht im Fall von Berlin Werbefrei nun aber nicht wie so häufig bei Gesetzentwürfen für Volksentscheide ein Abwägen und Angebot zur Überarbeitung, vielmehr kassiert es eine rigorose Absage: Nachbesserungen sind nach Einschätzung des Senats nicht möglich, weil der Eingriff in die Eigentumsrechte zu stark sei und die Kernpunkte des Gesetzes von den laut Prüfung notwendigen Anpassungen zu stark betroffen wären. Nachträgliche Veränderungen am Gesetzentwurf dürfen den Wesensgehalt des Entwurfs nicht verändern, weil schließlich genau dafür die Menschen unterschrieben haben.
Der Entwurf dreht laut dem Initiativensprecher Fadi El-Ghazi die aktuelle Rechtslage um: Bisher sei Werbung in der Öffentlichkeit grundsätzlich erlaubt und nur in Ausnahmefällen verboten. Nach dem Willen der Initiative wäre sie grundsätzlich verboten und nur in genau definierten Ausnahmen erlaubt.
Fadi El-Ghazi, Sprecher
Laut dem Gesetzentwurf hätten so gut wie „alle Werbeanlagen verschwinden“ müssen: große und kleine Werbevitrinen analoger und digitaler Art, Großklebeflächen, Poster an Baugerüsten sowie auf Bussen und U-Bahnen. Erlaubt wären lediglich Plakate für Kulturveranstaltungen, das beleuchtete Schild über dem Ladeneingang und Werbung an Gebäuden, wenn diese unmittelbar der Finanzierung etwa von dessen Sanierung dient.
Die Initiative, die von offizieller Seite bisher nicht über das Ergebnis informiert wurde, zeigte sich am Montag enttäuscht: „Nicht mal mehr verhandeln will der Senat?“, sagte El-Ghazi. Überrascht sei er allerdings nicht – zu wichtig sei wohl die Bedeutung einer Werbefirma wie der Wall AG. Die Initiative werde die schriftliche Begründung nun genau prüfen; zudem hat sie laut El-Ghazi Ende vergangener Woche einen Antrag auf Akteneinsicht der Rechtsprüfung gestellt.
Ganz aufgegeben hat die Initiative aber noch nicht. Der Senat wird den Antrag auf die Einleitung des Volksbegehrens nach taz-Informationen dem Berliner Verfassungsgerichtshof vorlegen. Dieser muss also abschließend entscheiden. „Wir rechnen uns gute Chancen aus, vor Gericht zumindest teilweise Recht zu bekommen“, sagte El-Ghazi.
Wie lange diese Prüfung dauert, ist offen. Fraglich ist deswegen auch, ob der Zeitplan der Initiative funktioniert. Sie wollte den Volksentscheid parallel zu den Wahlen zum Bundestag und zum Berliner Abgeordnetenhaus abhalten, also im Herbst 2021. Damit wäre sichergestellt, dass ein Entscheid nicht bei der Abstimmung am Quorum scheitert, wonach ein Viertel der BerlinerInnen daran teilnehmen muss.
Damit es aber überhaupt zum Volksentscheid kommt, muss die Initiative vorher innerhalb von vier Monaten rund 175.000 gültige Unterschriften von abstimmungsberechtigten BerlinerInnen sammeln. Eine Aufgabe, für die sie noch mal kräftig die Werbetrommel rühren müsste.
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