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Selbstwirksamkeit und Bezug zur RegionAuch in 100 Jahren geht es nicht ohne lokalen Journalismus

Die Süddeutsche Zeitung will ihre Lokalberichterstattung reduzieren. Das ist eine fatale Entscheidung für die Demokratie, erzählt ein Zeitreisender.

Die Süddeutsche Zeitung will sich vom Lokalen abwenden und nur noch über die große weite Welt berichten Foto: Wolfgang Maria Weber/imago

D as gibt’s doch nicht!“, fluche ich und blättere wütend die Zeitung durch. Eine Schreckensmeldung nach der anderen: Fischsterben hier, Attentat da, Korruption und Krieg überall. Da fängt das Wochenende ja gut an.

„Wie hat denn euer lokaler Fußballverein gespielt?“, fragt Felix. Er stammt ursprünglich aus dem Jahr 2124 und kommt mich ab und zu in 2024 besuchen.

„Keine Ahnung“, sage ich und überfliege den nächsten Artikel.

„Und welche Band ist beim Fest der Stadtbibliothek aufgetreten?“

„Weiß ich nicht.“

„Aber was beim Bürgermeisterfrühstück besprochen wurde, weißt du?“

„Nein, das interessiert mich alles nicht. Und die meisten anderen Leute offenbar auch nicht. Deshalb stellt die Süddeutsche Zeitung jetzt ihre Regionalberichterstattung weitgehend ein. „Das hier sind für die Menschen die weltbewegenden Skandale“, sage ich und klopfe auf die Seite mit den Auslandsnachrichten.

Eine Demokratie ist kein Pizzaservice, der gute Politik gefälligst ofenfrisch bis an die Haustür liefert

„Mag sein. Aber es hat für ihr tägliches Leben so gut wie keine Relevanz. Eigentlich macht es nur unzufrieden.“

„Die Wahrheit macht eben unzufrieden. Wenn ich an all die Probleme auf der Welt denke, werde ich depressiv.“

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„Du fühlst dich hilflos, weil du über die Nachrichten und die sozialen Medien von all den Katastrophen erfährst, an denen du absolut nichts ändern kannst. Gleichzeitig verlieren immer mehr Menschen den Bezug zu ihrer Heimat, zum Kiez. Alle hängen vor ihren Geräten und gucken ins Netz, aber immer weniger gehen in die Innenstadt oder engagieren sich in den lokalen Vereinen. Dabei sind die Kommune, der Zusammenhalt kleiner Gruppen, das Engagement und die Wertschätzung dort der Kern einer jeden Gemeinschaft. Eine Demokratie ist kein Pizzaservice, der gute Politik gefälligst ofenfrisch bis an die Haustür liefert. Das ist wie ein Familienfest, bei dem nur dann alle satt werden, wenn jeder mithilft: Der eine schält die Kartoffeln, der andere wäscht den Salat, ein Dritter deckt den Tisch.“

„Und bei euch helfen alle mit?“

„Ja, bei uns gibt es eine Quote für lokalen Content. Der Feed von Newsanbietern und soziale Medien muss zu mindestens einem Drittel aus lokalen Inhalten bestehen. Mittlerweile zeigt der Algorithmus aber wesentlich mehr an. Denn auf Local Media erfährst du vor allem, was bei dir vor der Haustür stattfindet, welche Themen es gibt und wie du dich beteiligen kannst. Wir haben eine Menge neue Ehrenämter geschaffen, um die sich die Bür­ge­r*in­nen bewerben und für die sie Aufmerksamkeit und Wertschätzung erhalten.“

„Ah, was denn für welche?“

„Das sind zum Beispiel Stadträt*innen, Jugendhelfer*innen, Integrationsbeauftragte, Verantwortliche für das zivile Holonet oder Meis­te­r*in­nen der kommunalen Backstube. Wer ein solches Ehrenamt ausübt, wird zum Local Influencer und bekommt automatisch die User der Kommune als Follower zugeteilt. Die Influencer können kaum über die Straße gehen, ohne für Selfies oder Autogramme angesprochen zu werden. Sie sind Vorbilder und motivieren andere, ebenfalls mit anzupacken. Je mehr Menschen sich vor Ort engagieren und vernetzen, desto besser funktioniert das Gemeinwesen und desto geringer ist die Kriminalität und die Leute sind viel zufriedener.“

„Und was ist dein Ehrenamt?“

„Ich bin der Zeitreisende meiner Kommune. Ich sorge dafür, dass die Vergangenheit genau so verläuft, dass all die guten Veränderungen auch eintreten.“

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4 Kommentare

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  • Was für die TAZ gut ist, soll nun im Falle der SZ schlecht sein?

  • Ich lebe schon mein ganzes Leben in der Nähe Münchens und bin quasi mit der SZ aufgewachsen. Der Lokalteil war noch nie eine stärke der SZ. Da hatte z.b. der Münchner Merkur schon immer die Nase vorne.



    Ich finds daher konsequent, auf den Part zu verzichten, auf dem die SZ traditionell schlecht aufgestellt ist.

  • Das ist vielerorts bereits ein großes Problem. Hier in meiner Kleinstadt herrscht schon heute eine Art von Zensur: Die Leserbriefe von Sprechern/Vorsitzenden der Parteien werden nicht mehr veröffentlicht. Das ist eine Entscheidung der Redaktion. Und diese Lokalredaktion ist sehr stark parteiorientiert, schreibt Artikel in deren Sinne und - duldet keinen Widerspruch. So wird die Neutralität der Berichterstattung "ad absurdum" praktiziert.

  • Es gibt auch - "parochialistisch" für die Fremdwörterliebhaber - diejenigen, die nur die Lokalnachrichten, Todesanzeigen, Sport vom Neffen lesen - auch nicht gut.



    Bekannt ist, dass Lokalberichterstattung, die etwas taugt und nicht springertendenziös daherkommt, der Politik die Sporen gibt.



    Stadtmagazine füllen da nur teils die Lücke, wenn nicht.

    Die Süddeutsche könnte eigentlich ganz Bayern aufrollen, oder noch besser: ganz Deutschland mit ihrem fundierten Politik-, Wirtschafts-, Kultur-Teil plus zwei Seiten zum jeweiligen Ort.