Selbstständige und Corona: Das Spiel ist aus
Unsicherheit gehörte auch vor Corona zum Leben ohne Festanstellung dazu. In der Krise lässt der Staat Selbstständigen links liegen.
Manchmal sieht mein Arbeitsalltag wie folgt aus: Ein Redakteur ruft gegen 11 bei mir an. Sein Name auf dem Display zeigt mir schon: Sie haben heute mal was ganz Originelles vor /ein eingeplanter Text ist weggebrochen / der andere Freiberufler geht mal wieder nicht ans Telefon.
Er nennt mir ein Thema, mit dem ich üblicherweise nichts anfangen kann. Ich weiß nichts darüber, und es interessiert mich auch nicht. Bis 14 Uhr muss es fertig sein. Ich sage meistens zu, weil ich das spannend und herausfordernd finde: der Sprung ins tiefe Wasser; das erste Mal Radfahren ohne Stützräder; bei der Serie die Untertitel vergessen zu haben, und es fällt mir erst nach einer Stunde auf. Es ist die reinste Improvisationsübung, für mich ist es im Grunde ein Spiel.
Dafür bekommen Leute wie ich jetzt gern die Quittung. Denn für anständige Bürger sieht es immer schon so aus, als ob wir spielten, während sie arbeiten. Vor Corona konnten wir uns noch damit durchmogeln. Klar, für viele von uns war da immer die Unsicherheit, woher der nächste Auftrag kommen soll, ob sich das Buch oder die CD verkauft, wie ich genügend Kunden für meinen Yogakurs oder Theaterworkshop akquiriere. Unsicherheit, Anspannung, Armut und vor allem drohende Altersarmut nahmen wir gern in Kauf.
Denn wir haben es uns ausgesucht. Es ist ja auch ein Luxus. Im Gegensatz zu den Festangestellten entscheiden wir selbst, wo, wann und von wem wir gemobbt, geknechtet und zurechtgewiesen werden. Und wir sind Millionen. Wir sind ja auch Schausteller, Grillwalker, Glühweinbudenbetreiber. Wir zahlen Milliarden von Steuern. Wir sind gar nicht alle schlecht. Manche von uns sind noch nicht einmal Versager.
Traditionelles Misstrauen gegenüber Kreativen
Das sieht der Staat jedoch anders. Instrumente wie Kurzarbeit und großzügige Kredite kommen nur den Festangestellten zugute, mit dem Umweg über ihre Arbeitgeber. Wie Sascha Lobo auf Spon richtig schreibt, manifestiert sich hier eine sich aus Misstrauen speisende, traditionelle Verachtung, die die Politik dem Kreativen entgegenbringt: Was macht der da in seinem Kämmerlein? Das lässt sich ja gar nicht richtig kontrollieren.
Vater, Mutter, Kind, Hund: So sieht für Staat, Kirche und Finanzamt die schier zu Tode unterstützte kleinste Zelle des Systems aus. Als fünfte und sechste Säule gehören unbedingt noch das Auto und die Festanstellung dazu. Wer nicht dazu gehört: Singles, Homosexuelle, Kinderlose, Fahrradfahrer, Soloselbstständige.
Die Soforthilfen waren oder sind ein Witz. Wer dem Lug geglaubt hatte, man könne sich Zeit lassen, es sei genug für alle da, blickte bei der Berliner Soforthilfe in die Röhre. Wer auf die des Bunds setzte, musste wiederum feststellen, dass sie nur für Betriebskosten galt. Büromiete, Maschinen, Mitarbeiter. Für den mittags zu Hause im Nachtgewand Artikel schreibenden Autor wären die einzigen laufenden Kosten jedoch solche für Nudeln und Bier.
Am Ende wurden unter Berliner Künstlern dann auch noch Stipendien verlost (!). Und ja, ich habe eins gewonnen. Das Einzige, das ich jemals bekommen werde, denn komische Kunst gilt dem Literaturbetrieb seit jeher als minderwertig – damit reiht er sich mental perfekt in die Politik ein. Die meisten aber haben es nicht gekriegt. Wurden die Gelder für Lufthansa und TUI ebenfalls verlost? Ich glaube nicht.
Der Tenor lautet: erstens, selber schuld; zweitens, bezieht doch einfach Hartz IV. Es ging so weit, dass nicht nur der „Kulturrat“ (wtf?), sondern auch manche Kollegen in den sozialen Medien weniger etablierten Kulturschaffenden einen Berufswechsel nahelegten: Arbeit schändet nicht, Kamerad Kasper. Das Spiel ist aus.
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