Seefahrt: Der Marinemaler vom Lotsenhaus
Hans Peter Jürgens malt Marinebilder, seine eigentliche Leidenschaft aber gehört dem Meer. Mit 15 begann er als Schiffsjunge, später war er Kapitän auf Handelsschiffen. In seinen Bildern malt er, was er auf seinen Reisen erlebt hat.
"Ich will Action", sagt Hans Peter Jürgens. Der 86-jährige Pensionär stemmt sich aus dem hellen Ledersessel, eilt zum prall gefüllten Bücherregal und zieht einen Band mit "Kapitänsbildern" heraus. Auf jeder Seite ein gemaltes Segelschiff, eins sieht aus wie das andere. "Langweilig" findet das Hans Peter Jürgens. Der Hausherr klappt das Gegenteil von Action schnell wieder zu und zeigt auf die gegenüberliegende Wohnzimmerwand, wo eines seiner Bilder hängt. "Da lagen wir in Jiddah", beginnt Hans Peter Jürgens.
Jürgens, ein klein gewachsener Mann mit akkuratem weißen Fassonschnitt, gehört in der überschaubaren deutschen Marinemalerszene zu den bekanntesten Künstlern. Anders als viele seiner Kollegen fuhr der gebürtige Cuxhavener jahrelang als Kapitän über die Weltmeere, später arbeitete er als Lotse in Kiel, wo er bis heute wohnt - in einem Lotsenhaus aus rotem Backstein, unweit seines alten Einsatzortes, der Schleuse des Nord-Ostsee-Kanals.
Auf dem Jiddah-Aquarell liegt am Kai ein Frachter, der soeben Reis gelöscht hat. Links ist das Bild verwaschen unklar. Aus dieser Richtung naht ein Sandsturm. Dunkelhäutige, weiß gewandete Hafenarbeiter schützen die Ladung vor dem drohenden Unwetter mit Planen. Im Vordergrund feilscht eine Gruppe Kamelhändler seelenruhig um zwei Tiere.
"Haben Sie das so gesehen, Herr Jürgens?" - "Nein, aber ähnliche Szenen haben ich in den Häfen ständig beobachtet. Und dies wollte ich in dem Bild erzählen."
Hans Peter Jürgens malt realistisch, doch selten dokumentarisch. Er rekonstruiert Erinnerungen, bestimmte Situationen, gibt Gefühlen Gestalt, illustriert Romanprosa oder stellt historische Ereignisse nach, wie sie hätten gewesen sein können. Dieser Ansatz verbindet Hans Peter Jürgens mit den niederländischen Marinemalern, die im 17. Jahrhundert die Segelschiffe des so genannten Goldenen Zeitalters malten und sich bei der Umsetzung der Motive ebenfalls sehr frei fühlten.
Doch es gibt auch wesentliche Unterschiede. Wenn Hans Peter Jürgens Segler oder Frachter in stürmischer See malt, ist er kein Beobachter auf dem Festland, sondern mittendrin. Die Bilder sehen aus, als würde ihr Maler gerade Halt auf einem fiktiven Begleitschiff suchen. Jürgens will die Kraft des Windes, die Bewegung der Wellen, die Formationen der Wolken rüberbringen, wie er sie erlebt hat, und das gelingt ihm so gut, dass er ein gefragter Marinemaler ist.
Auf seine Künstlerkollegen angesprochen, wird Jürgens schnell etwas ungehalten. Als "Reklamemaler" bezeichnet er Marinemaler, die regelmäßig für Reedereien arbeiten. Nehme er solche lukrativen Aufträge an, sei das etwas anderes. Hans Peter Jürgens gefällt die Rolle des freien Künstlers, der von seiner Kunst nicht leben muss.
Zuerst aber war bei Jürgens die Leidenschaft für die See da. Mit 15 verließ er das Humanistische Gymnasium ohne Abschluss, um es seinem Vater, einem Kapitän zur See, gleichzutun. "Ich wurde am Wasser groß. Klar beeinflusste das mein Denken und Fühlen." Noch heute, knapp 70 Jahre später, strahlt es unter Hans Peter Jürgens buschigen weißen Brauen, wenn er von seiner ersten Reise berichtet. Im Mai 1939 hatte er als Schiffsjunge auf der "Priwall" angeheuert, einer Viermastbark, und Kap Hoorn umrundet. Es war ein prägender Törn: Bis zur Auflösung vor sechs Jahren war Hans Peter Jürgens Präsident der deutschen Sektion der Kap Hoorniers.
1939 segelte die "Priwall" direkt in den Zweiten Weltkrieg. Der Segelfrachter musste in der Bucht von Valparaíso, Chile, vor Anker gehen, weil auch Handelsschiffe angegriffen wurden. Ein Segler hatte gegen modernes Kriegsgerät keine Chance. 1941 wurde der Handelsmariner Hans Peter Jürgens abkommandiert auf den Blockadebrecher "Erlangen". Diese Reise dauerte nur kurz. Vor Argentinien stellten Briten den Dampfer, dessen Kapitän die Selbstzerstörung befahl. Hans Peter Jürgens und die übrigen Besatzungsmitglieder gingen an Land, dieses Mal in Gefangenschaft.
Bis 1946 war Jürgens in Gefangenenlagern in Westafrika, Schottland und Kanada. Er habe vor allem die verpasste Schulbildung nachgeholt, sagt er. Die älteren Gefangenen, darunter gebildete Seeleute, Zivilisten, Soldaten, hätten eine Art Schule gegründet und die jüngeren unterrichtet. Der Kriegsgefangene Jürgens interessierte sich besonders für Nautik.
Außerdem malte er, machte sich die Kohle selbst und verzierte nackte Barackenwände mit der Tower Bridge sowie anderen Postkartenmotiven. Ein schottischer Lagerkommandant bestellte bei ihm für seinen Sohn ein Bilderbuch. In einem Lager in Kanada lernte Jürgens einen Kunstprofessor kennen, der ihn in Malerei und Kunstgeschichte unterrichtete. Als Kriegsheimkehrer verdiente er sich Butter und Zigaretten mit kolorierten Skizzen von isländischen Fischtrawlern, die in Cuxhaven festgemacht hatten.
Hans Peter Jürgens Traum aber war es, Kapitän zu werden. Zunächst fuhr er auf schrottreifen Fischkuttern und Handelsschiffen, 1953 erwarb er endlich sein Kapitänspatent in Elsfleth, wo er im selben Jahr heiratete. Er war er am Ziel und dirigierte für die Bremer Reederei Hansa Schwergutschiffe über die Weltmeere. Damals fand er höchstens Zeit für schnelle Zeichnungen nebenbei.
Der Künstler in ihm erwachte, als er 1960 den Lotsenjob in Kiel angenommen hatte. "Ich wollte meine beiden Kinder aufwachsen sehen", sagt Jürgens. 36 Jahre war er damals alt, aber länger hätte er nicht warten dürfen, sonst wäre er für einen Lotsen zu alt gewesen. Die Sehnsucht nach dem Meer stillte er fortan mit der Malerei, daneben schrieb er ein halbes Dutzend Sachbücher und illustrierte und übersetzte Romane.
Einige der Bilder von Hans Peter Jürgens gehören zu den Beständen des Maritimen Museums Hamburg und des Deutschen Museums München. Das Schifffahrtsmuseum in Brake zeigt aktuell eine Ausstellung mit seinen Werken, Titel: "Maritime Augenblicke".
Mit der Bezeichnung "Marinemaler" ist Jürgens nur halb glücklich. "Ich arbeite auch abstrakt", sagt er trotzig und setzt nach: "Aber das glaubt mir sowieso keiner." Der Versuch, sich als Künstler zu verkaufen, der nach allen Seiten offen ist, scheint ihm selbst etwas weit hergeholt.
Das alte Lotsenhaus samt Kelleratelier hängt voll mit Seestücken, die meisten von ihm. "Ich mal wie ich mich fühle", sagt er. Am Ende sei er noch lange nicht.
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