Sechs Monate Grenzkontrollen in Bayern: Nicht effektiver als ohne
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann preist die neue Grenzpolizei. Grüne und SPD sprechen hingegen von „Etikettenschwindel“.
Die von seinem Ministerium vorgelegten Zahlen rechtfertigen so viel Eigenlob allerdings nicht, die Statistik zeigt sich durchwachsen. So verzeichnet Bayerns Grenzpolizei für das zweite Halbjahr 2018 insgesamt 12.524 sogenannte Aufgriffe, also untersuchte Fälle. Das aber sind kaum mehr als im Vergleichsraum des Vorjahres, als diese Arbeit noch von Schleierfahndern erledigt wurde. Da gab es 11.691 Aufgriffe.
Das eigentliche Ziel der Grenzpolizei war es, neu ankommende Flüchtlinge zu fassen. Melden diese sich nicht und stellen einen Asylantrag, so gilt deren Einreise als illegal. Die Zahl der unerlaubt eingereisten und gefassten Flüchtlinge ist aber im Vergleich zum Vorjahr gesunken – von 777 auf 696. Gleiches gilt für gefasste Schleuser: 50 waren es 2017, im Jahr 2018 hingegen 37.
Mehr gab es für die Beamten bei der Bekämpfung allgemeiner Kriminalität zu tun. Bis Ende 2018 wurden 1.578 Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz festgestellt, 2.279 Verkehrsdelikte und 509 Fälle von illegalem Waffenbesitz. Auch wurden 300 Menschen aufgegriffen, gegen die ein Haftbefehl vorlag. Solche Fälle gelten als „Beifang“. Indes waren auch hier die Zahlen im Vorjahr etwa gleich hoch.
Die bayerische Grenzpolizei war im Vorfeld der Landtagswahl neu gegründet worden – es gab sie schon einmal bis 1998 –, als Ministerpräsident Markus Söder (CSU) ein schärferes Profil bei der inneren Sicherheit und in der Flüchtlingspolitik zeigen wollte. Zeitgleich entstand das neue bayerische „Landesamt für Migration und Rückführungen“. Auch wurden die „Anker“-Zentren errichtet, in denen alle neu ankommenden Flüchtlinge zentral untergebracht sind.
Bayerns Grenzpolizei ist nach Ansicht der Landtags-Grünen verfassungswidrig. Denn für Grenzkontrollen ist ausschließlich der Bund und damit die Bundespolizei zuständig. Diese kontrolliert auch weiterhin die drei großen Grenzübergänge bei Passau, Walserberg/Salzburg sowie Kiefersfelden/Kufstein. Die Bayern bekommen manchmal den Auftrag, sich um die vielen kleinen Grenzübergänge zu kümmern. Der Großteil ihrer Aufgabe liegt aber in Kontrollen in grenznahen Bereichen bis zu 30 Kilometer ins Landesinnere hinein. Genau das hat zuvor die Schleierfahndung gemacht. Und im vergangenen Jahr wurden aus den etwa 500 Schleierfahndern 500 Beamte der bayerischen Grenzpolizei. Jedes Jahr sollen nun 100 neu hinzukommen bis 2023.
Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze hält das für einen „offensichtlichen Etikettenschwindel“. „Jetzt hübscht man die magere Bilanz mit Zahlen der auch früher schon praktizierten Schleierfahndung auf.“ Sie verlangt ganz die Auflösung der Grenzkontrollen, diese seien „sichtbare Auswüchse einer europafeindlichen CSU-Politik“. Einen „Etikettenschwindel“ kritisiert auch die Landtags-SPD. Deren Sprecher Stefan Schuster fordert, Beamte für die Schleierfahndung und für „originäre Polizeiaufgaben in der Stadt und auf dem Land einzusetzen“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Preiserhöhung bei der Deutschen Bahn
Kein Sparpreis, dafür schlechter Service
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus