Scooter live: Monotonie, Pyromanie, Anglophilie
Die Kirmestechno-Stars Scooter machten auf ihrer Welttournee Halt in Berlin. Ihre Show ist eine brettharte Spektakelpolenta aus Donner, Blitz und Jumpstyle-Dancing.
"The Question Is What Is the Question?" lautet einer der zu geflügelten Worten gewordenen Songtitel des hanseatischen Gebrauchsphilosophen H. P. Baxxter. Mit seinem Dauerbretzen-Technounternehmen Scooter hyperhyperventiliert Baxxter seit bald 15 Jahren durch die Mehrzweckhallen und Fernsehshows der Republik.
Allein 20 Top-Ten-Hits und mehr als 14 Millionen verkaufte Tonträger können Scooter auf ihrer Habenseite verbuchen. Sogar das Vereinigte Königreich steht in ihrem Bann: In England verdrängten sie im Mai Madonna von der Poleposition der Charts. Das Rezept ist simpel: Zutaten aus Dancefloor, Schlager, Fußballstadion und Karl-May-Filmen werden zu einer brettharten Spektakelpolenta verrührt.
Während ihrer Welttournee - sie heißt, genau wie das neue Album, "Jumping all over the World" - hat das Trio am Freitagabend in der Zitadelle Spandau in Berlin sein Liveprogramm erstmals unter freiem Himmel vorgestellt.
Über der Bühne sind zügig in die Wolken startende Ferienjets zu sehen, während männliche und weibliche Bodentruppen aller Altersstufen aus ihrem Zuhausebleiben das Beste machen. In ihrer den feuchtheißen Temperaturen angemessen knappen Ferienkleidung - halbe Hosen, Tour-T-Shirts oder Bikinis und Flipflops - schlurfen sie auf dem mit Rindenmulch ausgestreuten Boden des preußischen Forts zu den Fressbuden. Es herrscht eher Grillpartyatmosphäre als Raveeuphorie. Während die Schwenkkamerakräne von RTL II schon mal den Liveübertragungsernstfall simulieren, bleibt es vor der Bühne dank der großzügig bemessenen Verpflegungsrationen ruhig.
Auch den Vorbands fällt die allgemeine Aufmerksamkeit nur schwerlich zu: Sarah Walker misslingt die Live-PA gründlich, und der Berliner Pornorapper Frauenarzt, der seine Schweinereime sicherheitshalber für einen Auftritt mit seiner Crew Atzen Musik im Giftschrank lässt, enttäuscht auf ganzer Linie: Statt eigene Songs zum Besten zu geben, machen Atzen Musik den opportunistischen Anheizer und intonieren ständig die Mitgrölhymnen des Hauptacts. Auch ein Abstieg: von der Persona non grata zum Einpeitschonkel.
Gegen halb zehn betreten Scooter, geleitet von züngelnden grünen Laserstrahlen, endlich die Bühne. Ohne den Band-Sancho-Pansa und Produzenten Rick J. Jordan, ist H. P. Baxxter nunmehr einziger Blickfang der Band. Angetan mit weißem Hemd, mit wasserstoffblond gefärbten Haaren und in zerschlissenen Röhrenjeans schnappt sich der ehemalige Telefonist der Plattenfirma Edel sein Retromikrofon und mimt fortan den Billy Idol des Happy Hardcore. Stumpfe Beats und monotone Keyboardflächen dominieren die Musik. Baxxter wiederholt in jeder Ansage ständig das englische Adjektiv wicked (geil), das sich dank seines norddeutschen Zungenschlags anhört, als sagte er "Wickert". Das Publikum hat anderes zu tun, als diese Anflüge von Anglophilie wahrzunehmen, es jumpt und wackelt und grölt die Kirmesmelodien mit.
Als auch noch vier im Gesicht braun getönte Jumpstyletänzer die Bühne entern und die Choreografieschraube mit schnellen Drehbewegungen anziehen, bricht unbeschreiblicher Jubel aus. Scooter bestreiten ihre Sets allein mit Hits: "Maria - I Like It Loud", "One", "Back in the UK" oder "Move Your Ass": Die Hooklines zeigen der Evolution von Pop die kalte Schulter, alles bratzt im gleichen Stil.
Zwischen den Songs werden Böller gezündet, Stichflammen zischen hoch und die Scheinwerfer-Lichtblitze betäuben alle Sinne. Bis auf Baxxters Stimme kommt Scooter-Musik im Kosten sparenden Vollplayback, darum können sie ihr Geld in Pyrotechnik anlegen. Das ist zwar umständlicher als bei ihren erklärten Vorbildern KLF - die haben ihr Geld wenigstens direkt verbrannt -, aber sind wir nicht alle ein bisschen Old Shatterhand?
Wenn sich H. P. Baxxter, wie beim Hit "Fuck the Millenium", auf den Bühnenboden schmeißt und ihn mit harten Stößen fickt, wirken selbst "Musikantenstadl"-Inszenierungen noch wie Improvisationstheater. Andererseits orchestriert die beschränkte Bühnenshow eben auch nur das dunkle Manöver der eintönigen Musik. Spannend wird es nur, wenn Baxxter unmotiviert Monitorboxen von der Bühne kickt. Und dann kommt wieder eine seiner existenzialistischen Fragen, "How Much Is the Fish?". Dazu muss man ihn sich an einem riesigen Ölmagnatenschreibtisch vorstellen, an dem sitzt H. P. Baxxter nämlich in seinem am Hamburger Fischmarkt gelegenen Büro und grübelt über den Lyrics.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
Abschluss G20-Gipfel in Brasilien
Der Westen hat nicht mehr so viel zu melden
CDU-Politiker Marco Wanderwitz
Schmerzhafter Abgang eines Standhaften