Sci-Fi-Komödie über Mutterschaft: Die Faustin
Die Hybris hat in „Wollstonecraft“ Folgen. Auf der Bühne des Theaters Freiburg entspringt ein künstlicher Mensch dem 3D-Drucker.
Marie (Janna Horstmann) will ein Kind, um jeden Preis. Nachdem ihre bisherigen Schwangerschaften allesamt mit Fehlgeburten geendet haben, scheint nun das Schicksal eine unverhoffte Wende zu bringen. Denn ihre Freundin Claire (Stefanie Mrachacz) verfügt über einen 3D-Drucker, der eigentlich der Erzeugung passgenauer Tupperware dient.
Als die verzweifelte Heldin jedoch im Chaos der Gefühle ihre zuvor eingefrorenen, toten Föten in das arkane Gerät gibt, passiert es: Ein Homunkulus entsteht, ganz nach dem Abbild ihres Ex-Partners Perceval (Victor Calero). Statt des ersehnten Mutterglücks empfindet die Protagonistin allen Hoffnungen zum Trotz nur Scham und sieht sich mit dem in der Realität unbeholfenen Wesen bald schon ihrer Freiheit beraubt.
Zweifelsohne hat die aus Québec stammende Autorin Sarah Berthiaume in ihrem Stück „Wollstonecraft“ nicht nur aus Mary Shelleys Frankenstein eine zumindest anfangs nette, planlose Kreatur gemacht, sondern ebenso aus Goethes Faust eine Faustin. Und ebenso frei nach dem Weimarer Schriftsteller wird sie die Geister, die sie rief, nicht mehr los.
Nur zeitigt in der deutschsprachigen Erstaufführung am Theater Freiburg ein gänzlich anderer Fortschritt als noch in der Vormoderne seine fatalen Effekte, zumal sich der künstliche Mensch zum mordenden Monster entwickelt. Gleichzeitig wird die Ambivalenz der Technik betont, insofern sie das paradoxe Versprechen bereithält, mit ihren Schöpfungen, die den Klimawandel beförderten, diesen wieder zu bewältigen. Aus einer gigantischen Plastikfläche im Meer könne man Claire zufolge viele Aufbewahrungsboxen für die Küche produzieren.
Dialoge voll schwarzen Humors
Unter der Regie von Camilla Dania nimmt diese so verrückte wie brisante Story einen bitteren Farce-Charakter an. Die Dialoge sind voll schwarzen Humors. Die Kulisse, ein monochrom grauer Raum mit zwei Türen, hinter denen sich ein riesiger Kühlschrank mit überdimensionalem Obst und den Totgeburten befindet, erweist sich als steril und futuristisch.
Aufgebrochen wird die statische Struktur durch einige starke Szenen. So performen bei der Zeugung der Kreatur mehrere als Bestien verkleidete Statisten zu harten Beats einen dämonischen Tanz. Wenn indessen eine Streicherversion von Debussys „Clair de Lune“ erklingt, stellen sich wiederum poetische Momente ein.
Dann werden wir etwa einer elegischen Klage von Perceval über die gescheiterte Liebe gewahr. Neben ihm steht dabei ein Baum in einer Vitrine, der langsam vom Rauch verschluckt wird – ein traurig-schönes Bild für einen Brand, in den er sich stürzt, nachdem er im Homunkulus seinen Doppelgänger erblickt. Nicht weniger wühlt das Ende dieser Geschichte auf. Auf die Bestürzung über die Hybris folgt eine spätödipale Vereinigung. Marie und ihr Geschöpf küssen sich. Die humane Selbstübersteigerung, sie birgt, so die Botschaft, sowohl das Potenzial zur Zerstörung als auch zur Überwindung verfestigter Grenzen.
Abseits der bioethischen Diskurse – von der Ethik des Klonens bis zur In-vitro-Medizin – stellt diese luzide und virtuose Inszenierung, benannt nach einer Frauenrechtlerin des 18. Jahrhunderts, die Frage nach einem weiblichen Schöpfungsmythos. In einem schrägen Werbevideo deutet dazu Claire die Genese von Tupperware zur feministischen Emanzipationsgeschichte um. Darüber hinaus repräsentiert natürlich Marie, die durchaus an die Mutter Gottes denken lässt, die versuchte Überwindung der patriarchalen Schaffensmacht.
Dass beide damit wenig Erfolg haben, lässt nur den einen Schluss zu: Alle Erben des Prometheus, ob Mann oder Frau, werden Opfer ihres Übermuts – eine desillusionierende, wohl aber ehrliche Erkenntnis.
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