Schwuler über Leben auf dem Land: „Hier geht es nicht so viel um Sex“
Immer noch werden viele Homosexuelle von ihren Eltern verstoßen. Im ländlichen Raum ist ihr größtes Problem das fehlende Kulturangebot, meint Marcel Ivan Behrends.
taz: Herr Behrends, Homosexuelle haben es auf dem Land oft schwerer als in der Stadt, sagt man. Sie sind mit Ihrem Verein im norddeutschen Flachland aktiv. Und?
Marcel Ivan Behrends: Die Diskriminierung ist auf dem Land nicht generell schlimmer. Dumme Sprüche hört man auch in Großstädten. Aber natürlich gibt es einige überwiegend katholische Dörfer, in denen die vierzig Einwohner jeden Schwulen am liebsten sofort verjagen würden.
Grundsätzlich hat sich die Lage entspannt?
Heute ist das größte Problem das fehlende Angebot: Manche Cafés und Kneipen in Dörfern sind zwar schwulenfreundlich, keiner lädt aber explizit Homosexuelle ein. Ein Grund, warum viele in Großstädte ziehen.
Sind die Eltern von Lesben oder Schwulen mit dafür verantwortlich, dass sich die Situation in Dörfern verbessert?
Eltern, die sich mit der Homosexualität ihrer Kinder auseinandersetzen, tragen ihre Akzeptanz nach außen. Damit sorgen sie für eine breitere gesellschaftliche Anerkennung. Das sind positive Botschafter. Es gibt immer mehr Eltern, die auf ein Coming-out ihres Kindes total tolerant reagieren, die ihr Kind sogar auf eine mögliche Homosexualität ansprechen.
28, hat den Verein Landlust e. V. in Meppen mitgegründet. Im Emsland vernetzt Landlust Stammtische für schwule, lesbische, trans- und intersexuelle Menschen. Der Verein berät beim Coming-out und hat einen eigenen Jugendtreff.
Das klingt doch gut.
Oft genug gibt es aber noch das Gegenteil: Viele in unserem Verein wurden regelrecht verstoßen, als sie sich geoutet hatten.
Deshalb berät Ihre Organisation auch Angehörige.
Wir wollen Familien vor dem Auseinanderbrechen bewahren. Häufig führt fehlende Akzeptanz dazu, dass der Kontakt abbricht, von welcher Seite auch immer.
Liegt die teils noch fehlende Akzeptanz auch an der Angst, dass die eigene Familie ausstirbt, weil viele Homosexualität mit Kinderlosigkeit gleichsetzen?
Das Prinzip gibt es – aber es ist auf dem Land nicht viel stärker verbreitet als in Städten. Wer möchte schon gern, dass die eigene Familie aufhört zu existieren? Mein Vater hatte große Schwierigkeiten, meine Homosexualität zu akzeptieren. Als er mit einer neuen Frau noch ein Kind bekam, fiel es ihm leichter.
Tolerante Eltern sind das eine, aber von Schulen werden immer wieder Mobbing-Geschichten erzählt. Von Lehrern etwa, die einen offen schwulen Jugendlichen neben Mädchen setzten, damit er sich vielleicht doch eines Besseren besinnt.
Gerade an Schulen ist es wichtig, darüber aufzuklären, was für ein Seelenstriptease ein Coming-out für Teenager ist. Einige Lehrer würden ihre Schüler gern besser unterstützen, bekommen aber von ihren Rektoren Steine in den Weg gelegt. Andere machen es schwulen Jugendlichen tatsächlich bewusst schwer. Wir haben ein eigenes Programm, bei dem wir mit Schulklassen arbeiten.
Wie helfen Sie Jugendlichen?
Wir haben einen psychosozialen Berater, der auch Sozial- und Sexualpädagoge ist. Der spielt alles vorab durch, manchmal begleitet er die Jugendlichen sogar zum Coming-out-Gespräch.
Wenn man unter schwul-lesbischen Verbänden auf dem Land recherchiert, stellt man fest: Es gibt immer mehr Menschen, die früher heterosexuell gelebt haben, und erst mit 35 oder 40 zu ihrer Homosexualität stehen. Wie kommt das?
Das Klima hat sich verändert. Mehr Leute trauen sich jetzt. Es gibt Beratungsangebote für die Zeit nach dem Coming-out. Wie geht es mit der Familie weiter? Muss man sich scheiden lassen? Was passiert mit den Kindern?
Hilft nicht auch das Internet mit Dating-Angeboten wie GayRomeo oder Grindr? Man lernt so leichter jemanden kennen.
Am 17. September 2013 simulierten die deutschen Behörden den Super-GAU eines Atomkraftwerks. Interne Dokumente zeigen: Die geheime Übung ging gründlich schief. Wie lesen Sie in der //www.taz.de/Ausgabe-vom-25/26-Oktober-2014/!148243%3E%3C/a%3E:taz.am wochenende vom 25./26. Oktober 2014. Außerdem: Die Gleichberechtigung von Homosexuellen in Deutschland scheint fast am Ziel. Aber manchmal kommt die Gesellschaft nicht ganz mit. Wie ein Landwirt seine Familie herausfordert, weil er Männer liebt. Und: Der Psychoanalytiker Vamik Volkan denkt über Osama bin Laden nach. Am Kiosk, //taz.de/%21p4350%3E%3C/a%3E:eKiosk oder gleich im praktischen //taz.de/tazam-wochenende/%21112039%3E%3C/a%3E:Wochenendabo.
Da unterscheidet sich das Land noch von der Stadt: In Dörfern sind persönliche Kontakte wichtiger, fremde Menschen übers Internet zu treffen, ist nicht so üblich. Viele gehen lieber raus, um Leute kennenzulernen. Außerdem geht es im Internet zu neunzig Prozent um Sex. Das ist bei uns auf dem Land nicht so extrem ausgeprägt.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Thüringen
Das hat Erpresserpotenzial
Friedenspreis für Anne Applebaum
Für den Frieden, aber nicht bedingungslos
BSW in Sachsen und Thüringen
Wagenknecht grätscht Landesverbänden rein
Rückkehr zur Atomkraft
Italien will erstes AKW seit 40 Jahren bauen
Klimaschädliche Dienstwagen
Andersrum umverteilen
Tech-Investor Peter Thiel
Der Auszug der Milliardäre aus der Verantwortung