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Schwule wollen RehabilitationDen alten Paragraphen 175 im Visier

Von 1950 bis 1969 wurden 50.000 Schwule verurteilt, weil Sex unter Männern verboten war. Jetzt fordern sie, dass die Urteile aufgehoben werden.

Heute freier als vor 40 Jahren: Teilnehmer am Christopher Street Day. Bild: reuters

BERLIN taz | Es geht ihm nicht um individuelle Entschädigung, sondern um die Anerkennung des Unrechts. „Der Paragraf 175 hat mein ganzes Leben beeinträchtigt, weil er eine so starke Macht auf das kollektive Bewusstsein der Bevölkerung hatte“, sagte Manfred Bruns am Dienstag in Berlin. Er ist 77, war Sprecher des Lesben- und Schwulenverbands, Bundesrichter und ist wichtiger Schwulenaktivist und Zeitzeuge.

Mehr als 120 Jahre haben Schwule in Deutschland unter dem 175er gelitten, der Sex zwischen Männern verbot. Von 1872 bis 1994 wurden über 140.000 Männer auf dieser Grundlage verurteilt. Mit der Verschärfung durch die Nationalsozialisten 1935 wurden selbst erotische Annäherungen zwischen Männern verboten. So weit, so nazihaft.

Doch der Paragraf hielt in seiner verschärften Variante Einzug in die Gesetzgebung der frühen Bundesrepublik. Von 1950 bis 1969 gab es in Westdeutschland rund 50.000 rechtskräftig Verurteilte. Sie mussten Zuchthaus- und Gefängnisstrafen verbüßen. Bis heute sind sie – im Gegensatz zu den in der NS-Zeit Verurteilten – nicht rehabilitiert. 1969 wurde der Paragraf entschärft, hatte aber bis 1994 Bestand.

Doch erst jetzt nimmt die Diskussion um Rehabilitierung und Entschädigung des damaligen Unrechts konkrete Form an. Einen Beitrag dazu leistete die Veranstaltung „§175 – Verurteilung, Verfolgung, Entschädigung“, die im Rahmen der Hirschfeld-Tage am Dienstag in Berlin stattfand. Initiiert wird die Reihe von der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, die die wissenschaftliche Beschäftigung rund um Homo-Themen fördert. Gerade die Verfolgung von Schwulen in der Nazizeit und danach ist eine wissenschaftliche Black Box.

Eine Bundesratsinitiative ist auf dem Weg

Der Soziologe Rüdiger Lautmann beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit Homosexualität. „Es muss eine kollektive Entschädigung auch in Form finanzieller Mittel geben, um diese Lücke zu schließen“, sagte er. Das Unrecht müsse ins Bewusstsein der Menschen. Manfred Bruns forderte, dass offiziell festgestellt wird, dass das Bundesverfassungsgericht 1957 ein Fehlurteil gesprochen hat, als es den 175er als mit dem Grundgesetz vereinbar eingestuft und damit legitimiert hat. Dagegen gebe es noch immer rechtliche Bedenken.

Das Land Berlin will diese zerstreuen und hat eine juristische Expertise eingeholt. Politisch schreitet die Diskussion fort. Eine Bundesratsinitiative aus Berlin, die am Freitag eingebracht wird, fordert von der Bundesregierung, die nach 1945 Verurteilten zu rehabilitieren und rückwirkend die Aufhebung der Urteile und Entschädigungsansprüche zu prüfen. Die Chancen für einen Erfolg stehen nicht schlecht, da selbst die in Berlin mitregierende CDU den Antrag mitträgt.

Im Mittelpunkt steht weniger individuelle Entschädigung, sondern eher symbolische Wiedergutmachung. Heute sind kaum Betroffene bekannt, die in der frühen BRD nach dem 175er verurteilt wurden. Viele sind gestorben, viele gehen nicht an die Öffentlichkeit. Die symbolische Macht des Paragrafen und der Einfluss auf das homosexuelle Leben mehrerer Generationen aber war stark.

Manfred Bruns ist heute mit sich im Reinen, sagt er. „Ich will aber, dass sich die Verhältnisse in Bezug auf Homosexualität in Deutschland ändern.“

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6 Kommentare

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  • A
    AntiFunt

    Das nächste Mal einfach BIG-Partei wählen.

     

    http://www.taz.de/!76635/

  • G
    groooveman

    Tja irgendwann werden auch wir Kiffer die Rücknahme alles menschenfeindlichen Urteile aus der Zeit der Prohibition fordern...

  • L
    lowandorder

    Die Richterverbände sollten sich diesen Forderungen anschließen.

     

    Zeit wird's. Und wenn sie nen Arsch in der Hose haben, dehnen sie diese auch auf die Verurteilungen im Nachgang zum KPD-Verbot aus.

     

    Eine Vielzahl dieser Verurteilungen (§ 84 StGB Fortführung einer für verfassungswidrig erklärten Partei )von " kleinen" Parteiaktivisten, Zeitungsverteilern etc erfüllten  

    in Wahrheit den Tabestand der Rechtsbeugung, gar der Wahlbehinderung § 107 StGB.

     

    Eklatantes Beispiel: Ein ehemaliger Parteifunktionär im Ruhrgebiet wurde verurteilt, mit der Begründung auch wenn er sich lediglich persönlich und ohne KPD-Bezug zur Wahl stelle, sei ja hinlänglich bekannt, daß er Mitglied der nunmehr verbotenen KPD war.

     

    Diese Begründung erinnert in fataler Weise an die Begründung des NS-Kriegsrichters und späteren Strafrechtsprof Erich Schwinge im Reschny-Fall: " Auch wenn dieser wg seines Alters noch nicht der Todesstrafe unterfalle, sei hier auf Todesstrafe zu erkennen.

    Denn jedem Kinde sei klar, daß auf Plündern ( konkret: ein leeres Portemonnaie, eine kaputte Uhr) die Todesstrafe stehe.

     

    Pikanterweise hatte schon das Bundesverfassungsgericht versucht, einem KPD-Verbot auszuweichen und dieserhalb Adenauer angegangen, aber keine Antwort erhalten.

    Das Verbot wurde sodann parallel zum Verbot der Sozialistischen Reichspartei - SRP - ausgesprochen.

     

    Adenauer war mit dem KPD-Funktionär Karl Renner gut befreundet - einer von mehreren "Müttern und Vätern" des Grundgesetzes, die KPD-Mitglieder waren.

  • NF
    Norbert F. Schaaf

    Seinerzeit hat André Heller den Song gewagt: "denn ich will"

     

    Und wenn ein mann einen mann liebt,

    so soll er ihn lieben, wenn er ihn liebt,

    denn ich will, dass es alles gibt, was es gibt.

     

    Und wenn eine frau eine frau liebt,

    so soll sie sie lieben, wenn sie sie liebt,

    denn ich will, dass es alles gibt, was es gibt.

     

    Und wenn du mich liebst,

    so sollst du mich lieben, wenn du mich liebst,

    denn ich will, dass es alles gibt, was es gibt.

     

    Wie lange hat es gedauert bis zum: "Und das ist gut so"? Natürlich müssen diese Schandurteile weg.

  • D
    docvonstock

    Da kann die Schwulenbewegung noch warten bis sie schwarz wird. Das ist ja naiv zu glauben, es gäbe eine Rehabilitierung. Wie mit der deutschen Vergangenheit umgegangen wird, lässt sich ja doch wunderbar an der Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter ablesen.

     

    Man wird warten, bis der letzte Betroffene verstorben ist um Betroffenheit zu heucheln und sich daran zu freuen, wieviel Geld man dadurch wieder eingespart hat. Wenn es nicht die ausländischen Opferverbände gegeben und das Ansehen der BRD durch diese Ignoranz noch mehr Schaden genommen hätte, dieses Almosen was unter großem medialen Getöse an die wenigen noch lebenden Zwangsarbeiter herausgereicht wurde, wäre auch noch zur Rettung des Euro ausgegeben worden.

     

    Wohlgemerkt, die Schwulen mit dem rosa Winkel sind noch nicht einmal entschädigt worden, obwohl sie in der KZ-Hierarchie ganz unten standen. Zur Begründung hieß es: "Da es sich bei dem § 175 StGB noch um einen in der BRD gültigen Straftatsbestand handelt, ist eine Entschädigung nicht geboten." Das gilt ja dann erst recht für die Opfer nach 1945.

     

    Aber vielleicht haben wir in Kürze wieder eine nazistische Regierung, die den Straftatsbestand erneut einführen wird. Einige "mittige Konservative aus CDU/CSU" arbeiten ja bereits daran. An einem nazistischen Regime versteht sich. Denken wir nur einmal an die Forderung gewissen Bürgern die Staatsangehörigkeit abzuerkennen.

  • S
    Staatsbürger

    Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1957 ist eine Warnung an jeden Gutmeinenden, der meint, Religion würde zur Gerechtigkeit beitragen. Es ist eine Art 'Scharia'-Urteil mit 'christlichem' Anstrich:

     

    Auszüge:

     

    "Ein Blick auf die Behandlung des Problems der gleichgeschlechtlichen Unzucht in der neueren deutschen Strafrechtsgeschichte zeigt folgendes Bild:

    Nach dem Vorgang der strengen Verurteilung gleichgeschlechtlicher Handlungen im alten Testament (3. Mose 18, 22 und 20, 13) und unter dem Einfluß christlicher Gedanken bedrohte Art. 116 der Constitutio Criminalis Carolina (1532) die widernatürliche Unzucht bei beiden Geschlechtern und die Unzucht mit Tieren mit dem Feuertode."

     

    "Das Bundesverfassungsgericht hat bereits wiederholt Gesetze und Verordnungen, die auf Grund des Ermächtigungsgesetzes von der nationalsozialistischen Reichsregierung erlassen worden waren, angewendet und dadurch zu erkennen gegeben, daß es sie nicht schon aus diesem Grunde für nichtig hält;"

     

    "Gleichgeschlechtliche Betätigung verstößt eindeutig gegen das Sittengesetz. Das persönliche sittliche Gefühl des Richters kann hierfür nicht maßgebend sein; ebensowenig kann die Auffassung einzelner Volksteile ausreichen. Von größerem Gewicht ist, daß die öffentliche Religionsgesellschaften, insbesondere die beiden großen christlichen Konfessionen, aus deren Lehren große Teile des Volkes die Maßstäbe für ihr sittliches Verhalten entnehmen, die gleichgeschlechtliche Unzucht als unsittlich verurteilen."