Schwule Fußballer: Outing verzweifelt gesucht
Die Medien gieren schon lange danach: Nun hat sich mit Marcus Urban ein ehemaliger Profifußballer als schwul geoutet. Mit etwas Glück bröckelt damit die Lügenwelt vom Heterofußball.
Vor einem Jahr noch erklärte Corny Littmann, er könne keinem raten, sich zu outen. Und das aus dem Munde des offen schwulen Vereinspräsidenten des FC St. Pauli! Der Veteran der Schwulenbewegung, Gründer der Theatertruppe "Brühwarm", Agitator wider alle Heimlichtuerei weiß, wovon er spricht. "Als Schwuler im Fußball bist du Freiwild." Und: Er wisse natürlich von Bundesligaspielern, die homosexuelle Affären hätten - heimlich selbstverständlich, meist eher im nahen Ausland ausgelebt denn in der Stadt, in der sie angeheuert worden sind. Doch gemeinhin neige man in solchen Fällen zu einer Scheinheirat, zum schönen, hässlich-verlogenen Schein der frauenorientierten Partnerwahl.
Ebendiese Bekundungen des Chefs des sogenannten Kultvereins aus Hamburg haben die naturgegebene Neugier der Medien nur noch weiter angeheizt: Wenn es denn schon schwule Profifußballer gibt - wo sind sie? Und: Wer sind sie? Was die Bild-Zeitung bewegt, hat nun die zum gleichen Konzern gehörende Welt am Sonntag ausgebreitet: Als schwul geoutet hat sich am Sonntag der frühere Spieler des einstigen Zweitligavereins Rot-Weiß Essen, Marcus Urban. Was er in dem Interview zu erzählen hatte, deckt sich mit den Erkenntnissen, die zum Thema zu haben sind. Dass er sein Begehren, so gut (oder schlecht) es ging, verheimlicht hat. Dass er, um ja nicht als homosexuell erkannt zu werden, jedem Klischee über Schwule zu entgehen suchte. Beispielsweise besonders ruppig gegen Spieler der gegnerischen Mannschaft zu Werke ging, um lieber als "Terrier" bekannt zu werden, als kerniger Wadenbeißer, als harter Hund, nicht als quasi weibisches Eleganzhuhn, das in Schönheit am Ball stirbt und das Stereotyp von Männlichkeit nicht zu nähren weiß.
Urban, der heute beim Hamburger Amateurverein ETSV kickt, gab das Übliche zu Protokoll: Vieles sei Lüge und Verheimlichung. Sprach von Scheinheiraten schwuler Kollegen, von Frauen, die man bei gesellschaftlichen Anlässen vorzeigt, um ja nicht in den Ruch schwulen Begehrens zu kommen.
Raten jedenfalls könne er keinem der in der Ersten oder Zweiten Bundesliga aktiven Spieler, sich gegebenenfalls als homosexuell zu erkennen zu geben. "Die Gefahr wäre zu groß, dass der Spieler daran zerbricht." Urban, der nebenher noch im schwul-lesbischen Sportverein Startschuss e. V. spielt, prophezeite: "Irgendwann wird sich ein aktiver Spieler zum Schwulsein bekennen." Und dieser Satz birgt das eigentliche Problem des Interviews: Alle Medienwelt hätte gern einen noch im Profigeschäft tätigen Kicker, aber sie findet keinen. Drei unter den etwa 1.000 angestellten Profikickern - von Bayern München als Meisteraspirant bis zum SC Paderborn als Zweitligaletztem - sollen nach Urbans Hörensagen schwul sein.
So darf, so möchte spekuliert werden: Sind es etwa Oliver Kahn, Arne Friedrich und Mario Gomez - die ja alle drei besonders männlich tun? Oder noch ganz andere? Stimmt die These von den Scheinwelten, wären auch Schweinsteiger, Podolski, Klose oder Trochowski wie alle anderen denkbar. Um eine alte homosexuelle Lebensweisheit zu bemühen: Warum auch nicht?
Woher die Gier rührt, nun endlich einen schwulen Kicker öffentlich zu präsentieren, ist offenkundig: Wie liberal der Zeitgeist eigentlich ist, mag fraglich sein - aber die Lust des Publikums (und seiner Medien) an einem Homosexuellen als authentischer Figur ist mächtiger als alle Aversion gegen Schwules überhaupt.
Würde sich ein Fußballprofi zu seinem Schwulsein bekennen, wäre das der wichtigste Bruch mit der Lügenwelt, deren Kodex zufolge echte Sportsmänner heterosexuell sein müssen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“