Schwule Bewegung in Ost und West : HIV, Repression und der Kampf um Sichtbarkeit
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Wie lebte es sich als schwuler Mann in der Nachkriegszeit? Rainer Herrn und Detlef Mücke über schwule Geschichte im Schatten der Mauer.
.In der aktuellen Folge Mauerecho spricht Dennis Chiponda mit Rainer Herrn, Medizinhistoriker an der Charité und Experte für die Geschichte sexueller und geschlechtlicher Vielfalt in Deutschland, sowie mit Detlef Mücke, einem der Pioniere der Schwulenbewegung, Lehrer und seit den 1970er-Jahren engagierten Aktivisten für die Rechte queerer Menschen. Im Podcast sprechen sie über das queere Leben in Ost und West, über Kriminalisierung und juristische Verfolgung und die AIDS-Epidemie in den 80er-Jahren. Aber es geht auch um politischen Kampf, Selbstermächtigung und den Aufbau einer queeren Kultur.
Der Paragraf 175 des Strafgesetzbuches stellte in der BRD sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe. Eingeführt wurde er 1871, endgültig abgeschafft erst 1994. Während im Kaiserreich und in der Weimarer Republik lediglich „beischlafähnliche“ Handlungen strafbar waren, weiteten die Nationalsozialisten den Paragrafen auf sämtliche „unzüchtigen“ Handlungen aus, sodass selbst Berührungen oder intensiver Blickkontakt zur Strafe führen konnten.
In der DDR blieb die gemäßigtere Fassung aus der Weimarer Republik in Kraft, während die BRD die verschärfte NS-Version übernahm. Eine Entkriminalisierung erfolgte in der DDR 1968, in der BRD 1969. Das Schutzalter für gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen war in beiden Staaten zunächst höher als für heterosexuelle Beziehungen, in der DDR wurde diese Ungleichbehandlung 1988 aufgehoben, im vereinten Deutschland erst 1994.
Im Podcast schildern Rainer Herrn und Detlef Mücke, wie sich die queere Szene in Ost und West entwickelte. Detlef berichtet, dass im Westen Polizisten, sogenannte Agents Provocateurs, gezielt an Treffpunkten eingesetzt wurden, um schwule Männer zu überführen. In der DDR seien queere Menschen zwar nicht in gleichem Maße juristisch verfolgt worden, erklärt Rainer Herrn, doch habe der Staat vielmehr versucht, die Community unsichtbar zu halten.„Homosexualität galt ja sozusagen als Relikt der bürgerlichen kapitalistischen Gesellschaft.“, sagt Herrn über die Situation in der DDR.
Anfänge der schwulen Bewegung
Die 1970er-Jahre markierten in beiden deutschen Staaten einen Wendepunkt. Sowohl im Osten als auch im Westen entstanden neue Formen des Aktivismus. Detlef Mücke erinnert sich: „Wir waren nicht eingeschüchtert, sondern hatten Lust an der Provokation.“
In den 1980er-Jahren stellte die AIDS-Epidemie eine neue Herausforderung dar. Im Westen führte sie zu einer erneuten Welle der Stigmatisierung queerer Menschen. In der DDR hingegen verlief die Epidemie laut Rainer Herrn anders: Durch das Fehlen einer ausgeprägten schwulen Sub- und Kommerzkultur kam es zu weniger Übertragungen, zudem wurde die gesamte Bevölkerung getestet. Eine gezielte Aufklärung für schwule Männer habe es jedoch nicht gegeben.
Welche Lehren ziehen die beiden aus ihrem Engagement für die queere Community in Ost und West? Detlef Mücke erzählt, dass sein politischer Einsatz ihm ein starkes Netzwerk an Freundschaften geschaffen habe, das ihn bis heute trägt. Dieses soziale Umfeld könne Einsamkeit entgegenwirken. Von diesem Thema seien heute viele junge Menschen betroffen.
Rainer Herrn betont kritisch, dass die LGBTQ-Bewegung noch immer stark von der Hegemonie schwuler Männer geprägt sei. Damit „LGBTQ“ nicht nur eine Worthülse bleibe, müsse Solidarität deutlich stärker praktisch gelebt werden. „Da haben wir schon […] einen ziemlichen Nachholbedarf.“
„Mauerecho – Ost trifft West“ ist ein Podcast der taz Panter Stiftung. Er erscheint jede Woche Sonntag auf taz.de/mauerecho sowie überall, wo es Podcasts gibt. Besonderen Dank gilt unserem Tonmeister Daniel Fromm.
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