piwik no script img

Schwimmer Caeleb DresselTraktor entschleunigt das Schwimmen

Caeleb Dressel war bei Olympia in Tokio der Superstar. Doch während der folgenden WM zog er sich zurück. Nun hat er sich zu Wort gemeldet.

Ist das Leid all das wert? Caeleb Dressel in Budapest Foto: Bernadett Szabo/Reuters

D ie Schwimm-Weltmeisterschaften von Budapest im vergangenen Juni hatten für den Superstar der Olympischen Spiele von Tokio, den US-Sprinter Caeleb Dressel, anscheinend routinemäßig begonnen. Dressel gewann erwartungsgemäß die 50 Meter Schmetterling und gemeinsam mit seinen Mannschaftskameraden die Sprintstaffel. Über die 100 Meter Freistil qualifizierte er sich als Zweitschnellster für das Halbfinale. Alles schien gerichtet für eine Wiederholung seiner dominanten Vorstellung von Tokio, wo er fünf Goldmedaillen gewann.

Doch dann kam, vollkommen überraschend, nur wenige Stunden vor dem WM-Semifinale, Dressels Absage. Dressel werde, teilte sein Trainer mit, aus nicht näher benannten medizinischen Gründen keine weiteren Starts bei der WM absolvieren.

Bis zur vergangenen Woche war nichts Genaueres über die Gründe des plötzlichen Rückzugs während der WM zu erfahren. Doch dann meldete sich Dressel auf seinem Instagram-Konto zu Wort. Er sei seit Budapest in keinem Swimmingpool gewesen, ließ er wissen, stattdessen habe er Flitterwochen in Island gemacht, sei in den Appalachen gewandert und habe sich einen Traktor gekauft. Es habe einmal eine Zeit in seinem Leben gegeben, fügte er an, in der er schwimmen und zugleich glücklich habe sein können. Und irgendwann, so hoffe er, werde er diese beiden Dinge wieder vereinen können.

Wer Dressel seit Tokio verfolgt hat, der war nicht gänzlich überrascht von dieser Entwicklung. Erst in diesem Frühjahr erzählte er in einem ausführlichen Interview dem Journalisten Graham Bensinger, wie sehr ihm der post­olympische Rummel zugesetzt habe. An manche Fernsehinterviews könne er sich gar nicht erinnern. „Mein Körper war da, mein Geist nicht.“ Und irgendwann habe er mit seiner Lebensgefährtin auf dem Balkon eines New Yorker Hotels gestanden und habe vor Erschöpfung geheult. „Wir haben uns da zusammen vorgenommen, aufzuhören, für andere Leute zu leben und nur fremde Erwartungen zu er­füllen.“

Gefühl, nur noch für andere zu leben

Mit dem elenden Gefühl, nur noch für andere zu leben, kämpft der 26-Jährige schon seit Beginn seiner Laufbahn. Als er es mit 16 Jahren versäumte, seinen eigenen Highschool-Rekord zu brechen und ihm die Enttäuschung der Fans von den Rängen entgegenschlug, erzählte er Bensinger, habe ihn ein unglaublicher Zorn übermannt. „Ich war nur noch ein Entertainer für die Leute, der Rekorde produzieren soll.“ Schon damals hörte Dressel für sechs Monate mit dem Schwimmen auf und verfiel in eine tiefe Depression.

Dem Druck der Olympischen Spiele von Tokio hielt Dressel trotzdem stand und lieferte wie gefordert seine Goldmedaillen und Rekorde ab. Bekommen ist es ihm nicht: „Das war die schlimmste Woche meines Lebens“, sagte er über die olympische Wettkampfwoche. „Ich konnte nicht essen, ich konnte nicht schlafen, ich konnte nicht aufs Klo gehen.“

Nun ist Dressel nach Simone Biles der zweite US-amerikanische Olympia-Star, der offen zugibt, dass er so nicht mehr leben mag. Beide haben noch nicht ihren Rücktritt bekannt gegeben, Biles lässt sich eine Hintertür für einen Start in Paris 2024 offen, Dressel gibt zu, dass er das Schwimmen vermisst. Aber ob sie sich all das noch einmal antun wollen, was notwendig ist, um wenigstens in die Nähe eines Siegerpodest zu kommen, müssen sie sich überlegen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Sebastian Moll
USA Korrespondent
Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!