Schwimmen ohne Ausweis: Im Prinzenbad allein
Unser Autor wollte einmal ohne Verletzungsgefahr Sport treiben. Doch zunächst muss er da an den Türstehern vorbei.
A lle, die ich kenne und die in Kreuzberg wohnen, lieben das Prinzenbad. Ich liebe es auch. Das liegt nicht nur an der verrotteten Kreuzberg-Romantik, die der Ort ausstrahlt. Es ist auch der faulste Ort, an den man sich an einem heißen Tag flüchten kann. Man schwimmt ein paar Bahnen und fühlt sich sportlich, während man den Müll auf dem Boden der Sportbahn betrachtet, ohne sich zu ekeln. Dann steigt man aus, raucht eine, liest ein paar Seiten und wartet, bis man trocken ist.
Schwimmen ist gelenkschonend und weitgehend kontaktfrei. Angeblich liegt die Rate bei etwa 3 Verletzungen pro 10.000 Stunden. Selbst ich hätte es kaum geschafft, mich zu verletzen.
Obwohl ich mit Freund:innen prätentiös Rilkes „Herbsttag“ zitiere, war dieser Sommer alles andere als „sehr groß“. Kaum Gelegenheit, ins Prinzenbad zu gehen. Also beschließe ich, an einem Sonntagmorgen im August früh loszugehen. Gegen neun Uhr stehen nur ein paar Leute am Eingang. Ich laufe mit gesenktem Kopf, höre Musik, bis plötzlich ein riesiger Schatten die Sonne verdeckt.
Es ist ein Türsteher. Natürlich hatte ich vergessen, dass sie seit ein paar Jahren am Eingang Ausweise kontrollieren. Ich habe mein Portemonnaie nicht dabei, weil ich diese kleinen Spinde hasse, in die man seine Sachen legt. Zum Glück habe ich meinen Presseausweis im Rucksack. Der Türsteher wird wütend: „Das ist ein Presseausweis. Ich kenne die! Die sind für Veranstaltungen. So was kann jeder fälschen!“
Ich schätze, er hat mit allem, was er sagt, recht. Aber das erklärt nicht, warum ich an einem Sonntagmorgen mit einem gefälschten Presseausweis ins Freibad gehen sollte. Ich versuche, ihm ein Foto meines Passes auf dem Handy zu zeigen. Er lehnt ab.
Der zweite Anlauf
Irgendwann ziehe ich ab und fluche auf Türkisch wie Mesut Özil. Der Sommer ist vorbei und ich war nicht ein einziges Mal dort. Ich gehe da nie wieder hin! Das war’s mit dem Prinzenbad! Ich werde nie wieder die Menschen betrachten, die sich auf den roten Pflastersteinen recken. Ich werde nicht mehr an denen vorbeigehen, die extra früh kommen, um sich einen Platz auf den türkisfarbenen und unzerstörbaren Sitzen zu sichern. Und Lebewohl meinem Lieblingsplatz, dem Stück Wiese hinter den Toiletten, so weit draußen wie möglich. Dort war weniger los und die vorbeifahrende U-Bahn erinnerte mich daran, dass ich in fünf Minuten zu Hause sein könnte.
Als ich am Kottbusser Tor vorbeikomme, werden die dramatischen Gedanken allmählich weniger. Soll ich einfach meinen Ausweis holen? Aber bis ich zurück bin, gibt es vielleicht eine lange Schlange. Hinzu kommen die Kratzer von den Zehennägeln sportlich-aggressiver Mitschwimmer, die mich ständig überholen, während ich mit meinen Raucherlungen nach Luft schnappe. Genau die Erfahrung, bei der man sich Corona zurückwünscht.
Ich komme zu Hause an. Was bleibt mir also? Ein Bad im Prinzenbad oder mein beleidigter Stolz? Ich fahre zurück. Ich gebe den Ausweis etwas passiv-aggressiv ab. Niemand achtet darauf. Jetzt bin ich im Prinzenbad. Ich gehe an der Bude und an den riesigen Schachfiguren vorbei, die in ein paar Stunden von unbeaufsichtigten Kindern durch die Gegend geworfen werden. Dann gehe ich an den Toiletten vorbei. Ich suche mir einen sonnigen Platz und genieße den ersten wirklich schönen Sommertag. Er ist tatsächlich sehr groß.
Dort denke ich mir eine Statistik aus: Je besser verfügbar die Orte für eine Sportart sind, desto häufiger passieren Verletzungen. Es gibt an jeder Ecke Freiplätze: Basketball ist eine risikoreiche Sportart, genauso wie Fußball. Im Vergleich dazu gibt es in der Stadt weniger Tennisplätze, was Tennis relativ sicherer macht. Tischtennis ist eine Ausnahme in dieser nicht ganz ausgereiften Statistik. Sommerbäder hingegen gibt es meist nur eines pro Bezirk in Berlin. Und selbst wenn man eines erreicht, ist es schwierig, überhaupt Zugang zu bekommen.
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