Schwimmbad-Gutscheine für Kinder: Plantschen für Hamburgs Olympia-Bewerbung
Hamburg spendiert Grundschüler:innen und ihren Eltern Gutscheine für Schwimmbadbesuche. Klingt gut, ist aber Symbolpolitik fürs Stadtmarketing.
E s klingt erst mal nach einer schnellen Lösung für ein drängendes Problem: „Ab ins Wasser!“ heißt die Aktion des Hamburger Senats, mit der die Stadt rund 19.000 Grundschüler:innen einen Gutschein für drei Schwimmbadbesuche mit Mama oder Papa vom 1. März bis zum 31. Mai kommenden Jahres spendiert. Eine knappe Million Euro zahlt er dafür.
Am Beckenrand werden dazu Wasserspielzeug und mehrsprachiges Info-Material verteilt, in den Frühjahrsferien soll es Aktionstage in Bädern in Stadtteilen geben, wo besonders wenige Kinder schwimmen können – in Billstedt, Bramfeld, Lurup und Wilhelmsburg. Ein Aktionstag in allen Bädern der Stadt ist für den 15. Mai geplant.
Die Pressemitteilung liest sich wie eine Erfolgsgeschichte über „Schwimmkurse für alle“. Wenn Kinder früh das Schwimmbecken „als positiven Erlebnisort entdecken“, könne „das sichere Schwimmen im Rahmen des Schulschwimmunterrichts noch leichter und schneller gelingen“.
Tatsächlich wirkt die Aktion wie ein Tropfen auf einem heißen Stein, den der Senat miterhitzt hat. Wegen Personalmangels beim Betreiber Bäderland und wegen eines Sanierungsstaus in dessen Bädern stehen Hunderte Grundschulkinder lange auf Wartelisten fürs überlebenswichtige Seepferdchen-Abzeichen.
Schwimmbecken aus Kostengründen geschlossen
Der Senat trägt dafür politische Verantwortung, weil er und das städtische Unternehmen Bäderland die Schwimmbäder wie ein privates Geschäft betrachten, das sich rechnen muss, statt wie eine öffentliche Aufgabe.
Seit den 1990ern wurden aus Kostengründen dezentrale Lehrschwimmbecken, die es an Schulen gab, geschlossen oder sind verfallen, weil sie nicht als Teil der Grundversorgung saniert wurden. Heute findet der Schwimmunterricht fast nur in den öffentlichen Schwimmbädern von Bäderland statt, organisiert in Kooperation mit der Schulbehörde.
Hunderte Schulklassen fahren deshalb lange mit dem Bus durch die Stadt in die wenigen verbliebenen Regionalbäder. Immer weniger Zeit verbringen die Kinder im Wasser. Und weil es zu wenig Fachangestellte und Lehrkräfte gibt, muss der Unterricht zu oft ausfallen oder es gibt weniger Betreuung.
Das Ergebnis dieser Spar- und Zentralisierungspolitik ist ein strukturelles Defizit, das jetzt durch medienwirksame Nachholkurse kaschiert werden soll, während die Infrastruktur in den Stadtteilen weiterhin fehlt.
Immer noch können mehr als die Hälfte der Kinder zu Beginn des Schwimmunterrichts nicht schwimmen. Deshalb hat die Aktion ihr Gutes: Jedes Kind, das schwimmen lernt, ist ein Erfolg – auch für die soziale Gerechtigkeit. Und dass die Stadt Kapazitäten schafft, um den Rückstau bei den Schwimmabzeichen abzuarbeiten, ist ein notwendiger Schritt.
Aber was eine Selbstverständlichkeit sein sollte, wird durch die Art der Inszenierung zur Gnadenhandlung stilisiert. Der Senat will mit der Aktion „besonders benachteiligte Stadtteile“ in den Fokus rücken. Das klingt wie eine soziale Wohltat, trägt aber Züge eines paternalistischen Klassismus: Während in wohlhabenderen Stadtteilen Schwimmunterricht privat organisiert oder im Sportverein stattfindet, wird das Schwimmenlernen für Kinder im Hamburger Osten und Süden zur staatlich zugeteilten Aktionsware.
Sportpolitik fürs Stadtmarketing
Aber wenn die Wege zu den Bädern für Familien aus prekären Verhältnissen zu weit und die Eintrittspreise eine finanzielle Hürde sind, reicht eine zeitlich begrenzte Aktion nicht aus. Sie bleibt Symbolpolitik: Man bekämpft Symptome einer Bildungsungerechtigkeit, ohne die Ursachen – die Privatisierung des öffentlichen Raums und den Fokus auf die betriebswirtschaftliche Optimierung der Bäder – anzutasten.
Dahinter steckt eine Sportpolitik, die den Breitensport oft erst dann entdeckt, wenn er sich fürs Stadtmarketing und olympische Ambitionen inszenieren lässt. Das ist ein schlechter Tauschhandel: Daseinsvorsorge wird als Geschenk verkauft, um die Zustimmung für kostspielige Prestigeprojekte zu sichern.
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