„Schwesterherz“ von Sarah: Was man nicht sieht, was man nicht hört
Sarah Miro Fischer führt in ihrem präzise erzählten Debütfilm „Schwesterherz“ die Hauptfigur in ein moralisches Dilemma (Panorama).
![Schwester Rose gespielt von Marie Blochning blickt nachdenklich ins Leere Schwester Rose gespielt von Marie Blochning blickt nachdenklich ins Leere](https://taz.de/picture/7531082/14/202506848-2-1.jpeg)
Ist es diesmal endgültig?“, fragt Roses großer Bruder Sam, an dessen Tür sie mitten in der Nacht anklopft. Ihre Freundin Jazz hat sie mal wieder rausgeschmissen. Rose und Sam (glaubwürdig innig: Marie Bloching und Anton Weil) können auch ohne viele Worte kommunizieren: dass die Schwester vorübergehend bei dem Bruder einziehen wird, muss nicht groß besprochen oder verhandelt werden. Das ist einfach, was Geschwister tun.
Von dem einen auf den anderen Moment obdachlos geworden, ist Rose dankbar für das Sofa in der aufgeräumten kleinen Berliner Wohnung ihres Bruders. Wenn da nicht dieser verdammte tropfende Wasserhahn wäre. Ein einfaches Tropfgeräusch kann so richtig nerven, vor allem nachts. Ganz egal, ob in regelmäßigen Abständen oder nicht, es reicht schon für Schlafentzug, Irritation und Unruhe. Es kann so dominant werden, dass man nicht mehr hört, was um einen herum sonst so passiert.
Sarah Miro Fischers beeindruckendes Spielfilmdebüt „Schwesterherz“ zeigt unaufgeregt, wie viel man im Film mit Reduktion erreichen kann. Dabei konzentriert sie sich besonders auf das, was man auf der Leinwand nicht sieht: auf die akustischen Ebenen. Wie das nächtliche Tropfgeräusch, das Roses Schlaf stört und sie gleichzeitig ablenkt von dem, was – vielleicht – ihr geliebter Bruder Sam hinter der dünnen Wand in seinem Schlafzimmer tut.
Ihre Aussage könnte die Anzeige kippen lassen
15. 2., 10 Uhr, Cubix 9
16. 2., 13.15 Uhr, Cubix 7
18. 2., 16 Uhr, Zoo Palast 2
22. 2., 21.30 Uhr, Zoo Palast 1
23. 2., 10.30 Uhr, Cubix 7
Ein schwerer Verdacht steht nämlich im Raum: Er soll in dieser Nacht eine junge Frau vergewaltigt haben, und Roses Aussage könnte die Anzeige kippen oder bestätigen. Wie geht man mit so einer Last um? Ist alles nur ein Missverständnis? Welche Wahrheit ist die richtige? Muss Rose überhaupt aussagen? Und wenn sie sich dafür entscheidet, was soll sie dem Kriminalkommissar (mit bohrendem Blick: Aram Tafreshian) überhaupt sagen?
Wir beobachten und hören zu, wie Roses Gedanken um solche Fragen kreisen, wie sie versucht, mit dem Unfassbaren fertigzuwerden. In der Zwischenzeit geht das Leben der Geschwister scheinbar sorglos weiter: Es ist Sommer, wenn man am Wochenende freihat, trifft man sich mit Freunden im Park, Rose und Sam lieben es, im See zu schwimmen. Rose nimmt an Zeichenworkshops teil, probiert sich als Aktmodell aus, flirtet mit einem Teilnehmer. Sobald sich die Vergewaltigungsanzeige gegen Sam rumspricht, reagiert ihr Umfeld unterschiedlich. Die Mutter der Beiden (Proschat Madani) ist überzeugt, dass es um eine Verwechslung geht, die Freundin von Sam, Lia (Jane Chirwa), ist sich da nicht so sicher.
Sarah Miro Fischer, für die „Schwesterherz“ auch die Abschlussarbeit an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin ist, gelingt es, das Gefühl von Zweifel bis zum Schluss aufrechtzuerhalten. Ihre Mischung aus fast dokumentarischen Bildern und präziser Erzählung sowie die balanciert dosierte Klanguntermalung (die schlicht-nüchterne Musik kommt von Francesco Olmo Lo Giudice) vermitteln einem schnell das Gefühl, Teil dieser Geschichte zu sein.
Auch in den Momenten, in denen die Kommunikation unterbrochen oder nur geahnt ist, etwa wenn Rose ein Gespräch zwischen Sam und Lia hinter einer Glasscheibe beobachtet und weder die Zuschauer noch sie erfahren, warum sie so lebhaft diskutieren. Die Frage „Wie würde ich in so einer Situation handeln?“ begleitet einen auch noch, nachdem man das Kino verlassen hat. Eine einfache Antwort gibt es nicht. Oder doch?
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