Schwerpunkt: Bundesliga-Abstiegsangst: Zwischen Bangen und Hoffen

Der Hamburger Fußball droht in nächsten Saison nur noch zweit- und drittklassig zu sein. Aufregen tut sich niemand mehr – das Maß des Leidens ist voll.

Bild: Miguel Ferraz

HAMBURG taz |Das Elend hat inzwischen viele Namen. Erst hieß es einfach Krise. Das war, als man noch dachte, die Sache würde schnell wieder vorübergehen. Dann hieß es Dauerkrise. Trauerspiel. Armutszeugnis. Katastrophe. So lächerlich mache der HSV sich selbst, meinen manche, dass man nicht einmal mehr Witze darüber erfinden müsse.

Nun also ein Sieg. Der erste seit Anfang Februar. Keineswegs eine klare Sache, ein knappes 3:2. Aber: Es sind wieder Tore gefallen, man hat die Mannschaft Fußball spielen sehen. Und schon träumen die ersten Fans von Siegesserien, von meisterschaftsgleichen Feiern, von Europa.

Im Rest der Stadt fällt das Echo verhalten aus. Im vergangenen Jahr gab es noch Unterstützung und Trotz, das Abendblatt startete die Kampagne „Niemals 2. Liga!“, um die Gefühle und Ängste seiner Leser zu bedienen. In diesem Jahr: Resignation. Anderswo elektrisiert und eint so eine Situation die ganze Stadt. Aber dieser Abstiegskampf elektrisiert nicht. Erst hat er verwundert. Dann fassungslos gemacht. Dann belustigt. Und inzwischen sind viele Hamburger nur noch genervt von dem Drama auf und vor allem neben dem Platz und davon, die Lachnummer der Bundesliga zu sein.

Gespräche über den HSV laufen in diesen Tagen immer ähnlich ab. Sie sind meist kurz. Sie sind bemerkenswert leidenschaftslos. Es fallen immer dieselben Sätze. „Sollen sie doch absteigen.“ „Wird ja auch mal Zeit.“ Und, ein Klassiker mittlerweile: „Die hätten schon letztes Jahr runter müssen.“

Das liegt zum einen daran, dass diese Durststrecke zu lange dauert und zu selbstverschuldet ist, um wenigstens Mitleid zu erregen. Im vergangenen Jahr ist der HSV dem Abstieg mit Glück und minimalem Aufwand von der Schippe gesprungen. Nur, um dann genauso weiterzumachen wie zuvor: Wieder verschleißt er einen Trainer nach dem anderen und kämpft mit Gönnermillionen um einen Erstligaplatz, den nach Ansicht vieler Fußballfans budgetschwache Abstiegskonkurrenten wie Freiburg oder Paderborn mehr verdient hätten. Beim HSV geht es schon längst nicht mehr nur um Sympathie oder Antipathie. Sein Schicksal ist auch zu einer Frage des Gerechtigkeitsempfindens geworden.

Zum anderen hängt die mangelnde Aufregung natürlich auch damit zusammen, dass die Stadt in Sachen Fußball ohnehin gespalten ist in den HSV und St. Pauli. Der Sport hat in Hamburg eine besondere Stellung, weil sich mit der Wahl des Vereins stets auch charmant Gesinnungen ausdrücken lassen. Vom Millerntor ist daher wenig Mitgefühl zu erwarten, aber selbst die schöne Tradition der Schadenfreude gestaltet sich schwierig. St. Pauli befindet sich in einer rechnerisch ähnlich entmutigenden Situation – nur eine Stufe weiter unten.

Als Pauli-Trainer Ewald Lienen bei der jüngsten Niederlage gegen Heidenheim einen ins Seitenaus rollenden Ball stoppen wollte und dabei so unglücklich ausrutschte, dass er sich den Arm brach, stand das sinnbildlich für die Gesamtsituation des Klubs: viel Engagement, aber wenig Ertrag. Doch rüttelt die Situation hier nicht so am Selbstverständnis wie beim HSV, denn St. Pauli hat sich schon immer weniger durch sportliche Erfolge definiert. Viele Anhänger fühlen sich in der Zweiten Liga wohler als im Oberhaus, weil ihnen das die Schönwetterfans vom Hals hält. Aber Dritte Liga? Das will nun wirklich keiner.

Es ist die wohl schwierigste Saison für den Hamburger Fußball. Die Stadt droht, in der kommenden Saison nur noch zweit- und drittklassig zu spielen. Der FC St. Pauli kennt Abstiege, er hat eine intakte Fanbasis, ihm werden die Anhänger wohl nicht in Scharen davonlaufen. Aber es würde finanziell enger und schwer werden, Spieler zu halten.

Der HSV dagegen war bisher vor allem in einem besser als die anderen Klubs: im In-der-Ersten-Liga-Sein. Der „Dino“ der Bundesliga hat seine Erstklassigkeit zur Marke stilisiert. Sollte er die legendäre Uhr abstellen müssen, wird sich zeigen, wie die Stadt reagiert und wie leidensfähig seine Anhänger sind.

Einige haben gedroht, ihre Dauerkarte im Falle eines Abstiegs abzugeben. Andere haben angekündigt, auch den Gang nach unten mitgehen zu wollen. Vielleicht befreit sich der Verein dann von dem Druck und startet den Neuanfang, auf den viele hoffen. Vielleicht wird er danach auf ewig in den Untiefen der Zweiten und Dritten Liga verschwinden. Vielleicht rettet Trainer Bruno Labbadia ihn doch noch. Aber selbst oder gerade wenn er es wieder schafft: Diese Saison wird Spuren hinterlassen.

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