Schwere Schlappe für Energieriesen: Gemeinde stoppt RWE
Die Bürger von Ensdorf verhindern, dass RWE ein neues Kohlekraftwerk baut. Die Anlage hätte jährlich rund 9 Millionen Tonnen CO2 ausgestoßen.
ENSDORF taz Eine Bürgerbefragung im saarländischen Ensdorf hat jetzt eines der wichtigsten Kraftwerksprojekte des Essener Energiekonzerns RWE gestoppt. Mehrheitlich stimmten die Einwohner der saarländischen Gemeinde gegen eine Änderung des Flächennutzungsplans. Diese wäre notwendig gewesen, um das Steinkohlekraftwerk mit 1.600 Megawatt Leistung und einem CO2-Ausstoß von jährlich schätzungsweise 9 Millionen Tonnen zu errichten.
Bundesweiten Protest gegen neue Kohlekraftwerke planen Umweltverbände für den 8. Dezember: Zur Halbzeit der Klimakonferenz in Bali soll es weltweit Aktionen für mehr Klimaschutz geben. In Deutschland erwartet die "Klima-Allianz", ein Bündnis von Umwelt- und Entwicklungsorganisationen, rund 10.000 Teilnehmer an einer Demonstration in Berlin. Eine weitere Kundgebung ist im nordrhein-westfälischen Neurath geplant, wo RWE das größte Braunkohlekraftwerk Europas baut. Im Internet kann man sich an einer "Online-Menschenkette" beteiligen. Wers noch symbolischer mag, schaltet am 8. Dezember um 20 Uhr für fünf Minuten das Licht aus - um ein Zeichen an den Klimagipfel in Bali zu senden, wie u. a. BUND, Greenpeace und WWF erklären.
Mehr als 70 Prozent der 5.600 wahlberechtigten Einwohner der Gemeinde im Landkreis Saarlouis gaben während der Bürgerbefragung in der vergangenen Woche im Rathaus ihre Stimmen ab. Das von der Gemeindevertretung festgelegte Quorum von zwei Dritteln der Wahlberechtigten war damit überschritten worden. Und nach der Auszählung der bis zur Schließung des Abstimmungslokals am Sonntag um 18 Uhr abgegebenen Stimmen stand schnell fest, dass sich 70 Prozent gegen eine Änderung des Flächennutzungsplans der Gemeinde ausgesprochen hatten. Eine solche Änderung aber wäre die Grundvoraussetzung für den Kraftwerksneubau gewesen. RWE wollte auf dem Gelände des bereits existierenden, sehr viel kleineren Kohlekraftwerks des Konzerns (430 MW) neu bauen. Doch für Nebenanlagen wie etwa ein Hafenbecken und eine Schiffsanlegestelle an der Saar sowie eine Transportanlage für die Kohleanlieferung aus dem benachbarten Bergwerk der Deutschen Steinkohle AG hätte RWE weitere Grundstücke in der Gemarkung Ensdorf benötigt.
Im Vorfeld der Abstimmung hatte RWE versprochen, das Votum der Bürgerinnen und Bürger zu respektieren. Gestern hieß es nur noch lapidar, dass der Konzern jetzt andere Kraftwerksprojekte vorantreiben werde.
Im Gemeindeparlament sind sich alle Fraktionen einig: "Das Votum war eindeutig. Der Flächennutzungsplan wird nicht geändert", sagte gleich nach der Auszählung ein Gemeindesprecher. Auf Nachfrage hatte Bürgermeister Thomas Harz (CDU) - eigentlich ein Baubefürworter - schon Mitte vergangener Woche versichert, dass er sich an das Abstimmungsergebnis gebunden fühle, wenn das Quorum erreicht oder überschritten werde. Bei einer letzten Abstimmung im Gemeindeparlament vor der Bürgerbefragung hatten CDU und Freie Wähler noch mit großer Mehrheit für die Errichtung des neuen, von RWE mit Baukosten von rund 2 Milliarden Euro veranschlagten Großkraftwerks gestimmt. Die SPD präsentierte sich gespalten; die Grünen waren dagegen. Abstimmungsergebnis: 14:13 dafür.
RWE steht jetzt "ohne Plan B" da, wie eine Konzernsprecherin noch in der Nacht danach einräumte. Ein Schock für das Unternehmen. Denn nicht einmal im Traum habe die Konzernleitung mit einem so massiven Widerstand gegen ihr Projekt gerechnet, berichtete der saarländische Bundestagsabgeordnetem der Linkspartei, Kurt Hill, nach einem vorangegangenen Gespräch mit dem Vorstand der RWE Power AG am vergangenen Donnerstag im übervollen Bergmannsheim von Ensdorf. "Die dachten, das Saarland ist ein Bergbau-und-Energie-Land. Da votiert kein Mensch gegen unsere Pläne."
Genau diese "arrogante Haltung" sei dann aber mitverantwortlich dafür gewesen, dass die BürgerInnen "auf die Barrikaden gingen", so Hill, dem danach der Beifall der rund 500 Ensdorfer, die eigentlich gekommen waren, um Oskar Lafontaine zu sehen und zu hören, sicher war. Lafontaine forderte dann die Zerschlagung der Energiekonzerne und die Errichtung kommunaler Blockheizkraftwerke überall. Das Saarland brauche keine Gigantenkraftwerke von RWE und ganz Deutschland auch nicht.
Dass die Ensdorfer plötzlich renitent wurden, hängt allerdings mehr mit der unermüdlichen Aufklärungsarbeit der örtlichen Bürgerinitiative und der Umweltschutzorganisationen Greenpeace und BUND zusammen. Auch die Ärzteschaft engagierte sich. Schließlich sterben im Saarland, dem Land der tausend Schlote und Kühltürme, die Menschen früher als irgendwo sonst in der Republik. Und in einer gerade erst vom Magazin Geo veröffentlichten Studie über die Bemühungen der einzelnen Bundesländer beim Klimaschutz landete das Saarland mit der Note "mangelhaft" abgeschlagen auf dem vorletzten Platz. Letzter wurde Rheinland-Pfalz.
In einem viel beachteten offenen Brief an den Landtagsabgeordneten und Generalsekretär der saarländischen SPD, Reinhold Jost, hatte der Sprecher der Bürgerinitiative gegen den Kraftwerksneubau, Karl-Heinz Winkler, folgende Vergleichsrechnung aufgemacht: Der in Ensdorf geplante Doppelblock mit seinen dann 1.600 MW Leistung werde bei rund 7.000 Betriebsstunden im Jahr rund 9 Millionen Tonnen CO2 emittieren. Bei einer angenommen durchschnittlichen Jahresfahrleistung von 12.000 Kilometern und einem Ausstoß von 160 Gramm CO2 pro Kilometer entspreche das in der Summe der CO2-Emission von 4,4 Millionen Autos. Im ganzen Saarland seien 2006 aber gerade mal 650.000 Pkws zugelassen gewesen. Neben dieser gewaltigen Menge an CO2-Emissionen werde das Kraftwerk Ensdorf neu pro Jahr 700.000 Kilogramm Feinstaub und 7 Millionen Kilogramm Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid und Kohlenmonoxid in den Himmel über dem Saarland, der Westpfalz und Lothringen emittieren.
Am deutlichsten, so Winkler, würden jedoch die "Verschattungseffekte" der sich vereinigenden Kühlturmrauchschwaden wahrgenommen werden. Dabei müsse dann an rund 200 Tagen im Jahr mit der Reduktion der realen Sonnenscheindauer gerechnet werden.
Die Bevölkerung war schockiert, und die Genossen waren beeindruckt. Zwar begrüßte die SPD Saar den Neubau danach auch weiterhin grundsätzlich. Doch die anvisierten 1.600 MW seien "zu viel für Ensdorf", referierte Partei- und Landtagsfraktionschef Heiko Maas. Nach dem Willen der SPD soll in Ensdorf jetzt ein Modellkraftwerk gebaut werden "mit höchstem Wirkungsgrad auch durch die Nutzung der Abwärme". Dafür allerdings fehlen im Saarland die entsprechenden Nah- und Fernwärmenetze. Maas fordert deshalb ein von Land und Bund gemeinsam finanziertes Investitionsprogramm für diesen Zweck.
Ohne Wenn und Aber zum Kraftwerksneubau und zur RWE Power AG standen dagegen die Union an der Saar und die Landesregierung von Peter Müller (CDU). Sie wurden durch das Votum der Ensdorfer gleich mit abgestraft. Auch der Hinweis auf die mögliche Unabhängigkeit des Saarlandes vom Atomstrom aus dem benachbarten französischen AKW Cattenom nach dem Bau eines neuen Kohlekraftwerks in Ensdorf animierte die Ensdorfer nicht zur Zustimmung zu den Plänen von RWE.
Vielmehr trieb die Angst, dass ihre Kinder und Enkel wegen der Schadstoffemissionen durch Ensdorf II an Krebs erkranken könnten, viele Bürgerinnen und Bürger zur Abstimmung ins Rathaus. "Ich habe schon Krebs. Die Jugend soll gesund aufwachsen können. Deshalb bin ich gegen das Kraftwerk", sagte ein Frührentner (59), der sich noch am Sonntag bei Sturm und Regen mit dem Schirm voran zum Rathaus durchkämpfte. Seine Frau nickte. "Wir haben zwei Enkelkinder. Für die gehen wir heute abstimmen."
Die Entscheidung in Ensdorf ist die erste Bürgerbefragung zu einem neuen Kohlekraftwerk - doch Widerstand gibt es auch an anderen Standtorten (siehe Tabelle). In Krefeld war es der Stadtrat, der im März den Bau eines Steinkohlekraftwerks stoppte; seitdem gibt es Bemühungen, diese Entscheidung zu revidieren. In Berlin legte Vattenfall seine Pläne für ein neues Kraftwerk nach einer öffentlichen Debatte auf Eis, ohne sie allerdings zu stoppen. In Bremen und Bielefeld wurden Neubaupläne nach Protesten aufgegeben - offiziell aus wirtschaftlichen Gründen.
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