Schweizer Verhüllungsverbot in Kraft: Verhüllen mit Ausnahmen verboten
Religiöse Gesichtsschleier und Masken bei Demonstrationen sind in der Schweiz ab dem 1. Januar verboten. Für Kritiker ist das vor allem Symbolpolitik.
Der Verfassungsartikel sieht jedoch Ausnahmen vor und so tut es auch das ab 1. Januar geltende Gesetz. Das Tragen von Gesichtsmasken zum Schutz der eigenen Gesundheit, Fastnachts- und Karnevalsverkleidung und Verhüllungen bei Kunstaktionen sollen beispielsweise nicht geahndet werden. Außerdem können kantonale Behörden für Demonstrationen Ausnahmen gutheißen, so zum Beispiel, wenn ohne Verhüllung der Teilnehmenden die Versammlungs- oder Meinungsfreiheit eingeschränkt würde.
Laut einer Studie des Zentrums für Religionsforschung der Universität Luzern aus dem Jahr 2020 tragen nicht mehr als 37 in der Schweiz wohnhaften Frauen Niqab. Dabei verhüllen sich muslimische Frauen mit einem weiten Umhang, bedecken die Haare und die Stirn und zusätzlich auch das Gesicht unterhalb der Augen. Eine Burka, mit der auch die Augen verdeckt werden, trägt der Studie zufolge niemand. So wird dem Gesetz vor allem Symbolcharakter zugeschrieben.
Die 2021 angenommene Initiative lancierte das „Egerkinger Komitee“, eine Gruppe von Mitgliedern der rechtspopulistischen Schweizerischen Volkspartei (SVP) und der nationalkonservativen Kleinpartei EDU. Vor einer „Islamisierung der Schweiz“ warnte das Komitee damals im Abstimmungskampf. Auf seiner Webseite beschreibt es sich als Gruppe, die „Widerstand gegen die Machtansprüche des politischen Islam“ organisiere. Schon vor über 16 Jahren lancierte das „Egerkinger Komitee“ eine Initiative zum landesweiten Verbot für den Bau von Minaretten, die 2009 ebenfalls von der Bevölkerung angenommen wurde.
Bürger:innen sollen Verstöße gegen das Gesetz melden
Von verschiedenen Seiten wird dem Komitee vorgeworfen, Islamophobie und Ausländerfeindlichkeit zu betreiben. Mit dem Verhüllungsverbot würden außerdem Stereotype über den Islam produziert, die vor allem muslimische Frauen diskriminieren würden, so Kritiker:innen. Das Verbot führe nicht zur Verbesserung der Lebensumstände von Musliminnen, die von Unterdrückung durch Kleidervorschriften betroffen sind.
Das Gesetz umsetzen wird nun die lokale Polizei in jedem Kanton. In den Kantonen Tessin und St. Gallen gelten schon lokale Verbote, denen die Bevölkerungen zuvor zugestimmt hatten. Nach der Einführung im Jahr 2016 stellte die Tessiner Polizei in vier Jahren 28 Bussen gegen Burka- und Niqabträgerinnen aus.
Wegen der geringen Anzahl an Niqab- und Burkaträger:innen in der Schweiz wird der Hauptanwendungsbereich des bundesweiten Gesetzes vor allem bei Tourist:innen gesehen, zum Beispiel in der Stadt Luzern oder in Urlaubsorten in den Alpen wie Interlaken. Aus Angst vor Umsatzeinbussen bekundeten deshalb auch Stimmen aus der Tourismusbranche in der Vergangenheit Sorge. Doch mittlerweile scheinen die Tourismusverbände keine Gefahr mehr zu befürchten. Die einheitliche Regelung schaffe Klarheit, muslimische Tourist:innen in der Schweiz seien in den letzten Jahren immer weniger mit Gesichtsverhüllung unterwegs, so der Direktor von Interlaken Tourismus.
Aus Sorge vor einer laschen Anwendung des Gesetzes hat das „Egerkinger Komitee“ mittlerweile eine Meldestelle eingerichtet, an die Bürger:innen Verstöße gegen das Verbot per Foto schicken sollen. Politiker:innen aus verschiedenen Parteien bezeichnen die Meldenstelle als unangebracht, denunziatorisch und provokativ. Eine Meldestelle, die sich darum kümmere, wie Frauen richtig angezogen sein müssen, kenne sie nur aus dem Iran, so die Nationalrätin Tamara Funiciello der Sozialdemokratischen Partei.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kleinparteien vor der Bundestagswahl
Volt setzt auf die U30
Debatte über Verbot von Privat-Feuerwerk
Schluss mit dem Böllerterror
Mögliches Ende des Ukrainekriegs
Frieden könnte machbar sein
Debatte nach Silvester
Faeser und Wissing fordern härtere Strafen
Todesgefahr durch „Kugelbomben“
Bombenstimmung nach Silvester
Syrische Regierung und die Frauen
Sie sind zu Recht beunruhigt