Schweizer Fußballbegeisterung: Die Natis, die man anders ausspricht
Auch im Alltag der Alpenrepublik ist der Fußball angekommen. Und doch kann er Besucher aus Deutschland verwirren.

E s ist nicht so, dass es mich überrascht hätte. Ich habe es nicht zum ersten Mal gehört. Aber als Deutscher kann man sich nur schwerlich daran gewöhnen, wenn die Schweizer Fans ihre Nati mit „Super Nazi“-Gesängen feiern. Die schweizerdeutsche Aussprache macht es möglich. So betrachtet kann man wirklich behaupten, dass zum Auftakt der Europameisterschaft in Basel eine Bombenstimmung geherrscht hat.
Davon abgesehen ist es aber wirklich recht eindrücklich, wie so eine EM den Alltag auf den Kopf zu stellen vermag. Während bei Erstligaspielen sich die besten Fußballerinnen in der Schweiz mit teils zweistelligen Besucherzahlen zufrieden geben müssen, ist es nun plötzlich auch eidgenössische Pflicht, die Schweizer Fahne beim Frauenturnier hochzuhalten.
Sogar aus Bern habe ich eine Männergruppe im tiefsten Boomer-Alter in den Zug nach Basel steigen sehen. Trotz gefühlt 40 Grad wurde noch das rote Trikot mit dem Schweizer Kreuz auf der Brust über das weiße Hemd gezogen. Ohne Schweiß kein Nationalfleiß. In der Hand hielt ein jeder eine robuste Nyloneinkaufstasche, um die vielen Bierflaschen wirklich sicher transportieren zu können. Gut möglich, dass diese Herren vor wenigen Wochen in einem eher weniger respektvollen Ton über den Fußball der Frauen gesprochen haben. Mit „Super Nazis“ sind jetzt aber alle gemeint.
Kunst, Kultur, Klamauk
Einen Fanmarsch gab es dieses Mal zu Ehren der Fußballerinnen in Basel. „Trotz Hitze“, wie das Boulevardblatt Blick vermeldete, um vielleicht deutlich zu machen, dass das so selbstverständlich wiederum doch nicht ist. Und weil man schon mal dabei war, wurde auch zu Ehren des Schweizer Künstlers Jean Tinguely, der im Mai 100 Jahre alt geworden wäre, dessen 1979 entstandene fahrende Skulptur „Klamauk“ zum Einsatz gebracht. Sie sollte den Fanmarsch anführen.
Zu beachten war, dass die Skulptur im Sinne ihres Erfinders tönend, rauchend, stinkend und feuerwerkend unterwegs sein muss. Für das Abbrennen pyrotechnischer Gegenstände brauchte es die Genehmigung der Fachstelle Waffen der Kantonspolizei Basel.
Gut 2.500 Menschen reihten sich am Mittwochabend hinter dem Gefährt ein, dessen Beziehung zum Fußball die Kommunikationsabteilung des Museums mit spielerischer Leichtigkeit herstellte: „Er ist laut, wirkt chaotisch und macht Stimmung: Wie ein Fußballteam funktioniert auch der ‚Klamauk‘ nur dann richtig, wenn alle Teile gut zusammenspielen.“ Anscheinend haben die Verantwortlichen in Basel dann doch etwas zu viel gewollt. Schon nach wenigen Metern gab der „Klamauk“ seinen Geist auf und blieb auf der Strecke.
Im Nachhinein kann allerdings als bewiesen gelten: Die Analogien zum Fußball sind völlig zutreffend. Wie bei den Schweizer Fußballerinnen haben die Räder nicht so ineinander gegriffen wie nötig. Die Auftaktniederlage war schon früh absehbar.
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