Schweizer „Durchsetzungsinitiative“: Ein Votum voller Ressentiments
Die rechtsnationale Volkspartei will in der Schweiz die rigide Abschiebungspolitik konsequent „durchsetzen“. Am Sonntag wird abgestimmt.
Die von der rechtspopulistischen und ausländerfeindlichen Schweizer Volkspartei (SVP) lancierte „Durchsetzungsinitiative“ zielt laut der Sprachregelung der Partei lediglich auf die „Umsetzung“ der bereits 2010 angenommenen SVP-Initiative zur „Ausschaffung“ straffällig gewordener Ausländer.
Tatsächlich aber enthält die „Durchsetzungsinitiative“ aber gravierende Verschärfungen. Die „Ausschaffungsinitiative“ von 2010 verlangte, dass AusländerInnen das Land verlassen müssen, wenn sie für eine schwere Straftat verurteilt werden. Dazu zählten vorsätzliche Tötung, Vergewaltigung, aber auch Sozialhilfemissbrauch.
Wegen ihres Automatismus kollidierte bereits die „Ausschaffungsinitiative“ mit einem der wichtigsten Grundsätze einer modernen Verfassung: dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Nach jahrelangen Beratungen hat das Parlament in Bern ein Gesetz beschlossen, das die Menschenrechte wie auch das Recht auf ein Familienleben garantiert. Dazu führte das Parlament eine Härtefallklausel ein. „Dabei ist der besonderen Situation von Ausländern Rechnung zu tragen, die in der Schweiz geboren oder aufgewachsen sind“, heißt es im Gesetzestext.
„Rechtsstaat außer Kraft gesetzt“
Mit ihrer „Durchsetzungsinitiative“ will die SVP diese Schutz- und Ausnahmeregeln wieder tilgen und einen unbedingten Automatismus zur Abschiebung „krimineller Ausländer“ mit nachfolgendem Wiedereinreiseverbot bis zu 20 Jahren schaffen, der den Gerichten keinerlei Spielraum mehr ließe. Zudem hat die SVP den Katalog der Delikte, der zum Landesverweis von AusländerInnen führen soll, erheblich erweitert. Darunter finden sich zahlreiche Delikte des „Sozialhilfemissbrauchs- und -betrugs“.
Danach ist es auch strafbar und von Ausweisung bedroht, aufgrund eines Fehlers der Behörden zu viel Kindergeld oder Kostenerstattungen von der Krankenkasse zu kassieren und dagegen keinen Einspruch zu erheben. Das Delikt „Steuerbetrug“ kommt in der Liste der SVP hingegen nicht vor. „Damit offenbart die Initiative klipp und klar ihren sozialen Klassencharakter“, meinte der grüne Parlamentsabgeordnete Daniel Vischer. Die „Durchsetzungsinitiative“ sieht vor, dass ihre Bestimmungen bei Annahme unmittelbar in die Schweizer Verfassung aufgenommen werden und zum 1. März in Kraft treten. Damit würde das Parlament ausgehebelt.
Die Gegner der Initiative argumentieren, mit der Initiative würden „der Rechtsstaat und die Gewaltenteilung in der Schweiz außer Kraft gesetzt“. Zudem würde die Schweiz gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) verstoßen, gegen die UN-Kinderrechtskonvention und den Pakt über soziale, wirtschaftliche und kulturelle Rechte der UNO sowie – bei einer Ausweisung straffällig gewordener EU BürgerInnen – auch gegen das Abkommen mit Brüssel über die Personenfreizügigkeit.
Ein gesellschaftlich sehr breites „Komitee gegen die unmenschliche SVP-Initiative“ hat inzwischen 1,6 Millionen Schweizer Franken an Kleinspenden gesammelt – ein Fünftel der Summe, die die SVP für die Abstimmungskampagne ausgibt – und konterkariert die ausländerfeindlichen und offen rassistischen Plakate der SVP mit ihren „Nein“-Postern. Die letzte repräsentative Abstimmungsumfrage vom Mittwoch letzter Woche ergab erstmals eine hauchdünne Mehrheit für die Gegner, bei nach wie vor fünf Prozent Unentschlossenen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Misogynes Brauchtum Klaasohm
Frauenschlagen auf Borkum soll enden
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz