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Schwarze Künst­le­r*in­nen und RassismusSich nicht mehr ablenken lassen

Über Rassismus zu sprechen, ist notwendig, aber auch anstrengend. Den unbezahlten Informationsauftrag mag sich unsere Autorin nicht länger leisten.

Schweigend: Protestkundgebung 2020 auf dem Berliner Alexanderplatz gegen Polizeigewalt und Rassismus Foto: F.Bungert/future image/snapshot

I ch schreibe immer weniger über Rassismus. Das habe ich selbst erst kürzlich bemerkt. Der Grund ist nicht, dass es weniger Rassismus gäbe als vor fünf, zehn oder fünfzehn Jahren – im Gegenteil. Ich bin auch nicht weniger von Rassismus betroffen.

Ich habe nur keine Lust mehr, ständig darüber zu sprechen. Spaß gemacht hat es noch nie. Es gab schon immer schönere und interessantere Themen und andere, die zwar ebenfalls nicht schön und wenig interessant, aber mindestens genauso wichtig waren.

Ich habe mir nie bewusst vorgenommen, das Thema zu wechseln. Ich habe auch nicht das Gefühl, dass wir fertig sind oder ich alles gesagt hätte, was ich noch dazu sagen könnte. Ich habe nur und hatte schon immer mehr zu sagen als das. Und im Laufe der Jahre habe ich gelernt, Zeit und Energie aufzusparen, um mich Themen und Dingen zu widmen, von denen mich Rassismus abhält.

Irgendwo in meiner Nähe, auf einem Post-it oder einer Postkarte, in einem offenen Browser-Tab oder der Notizen-App befindet sich immer dieses berühmte Zitat von Toni Morrison: „The function, the very serious function of racism is distraction. It keeps you from doing your work. It keeps you explaining, over and over again, your reason for being. Somebody says you have no language and you spend twenty years proving that you do. Somebody says your head isn’t shaped properly so you have scientists working on the fact that it is. Somebody says you have no art, so you dredge that up. Somebody says you have no kingdoms, so you dredge that up. None of this is necessary. There will always be one more thing.“

Nicht schon wieder

Das Zitat erinnert mich nicht nur daran, mich nicht ablenken zu lassen von dem, was ich wirklich tun will: Nicht schon wieder eine Theaterprobe zu unterbrechen, weil mich eine Zeitung darum gebeten hat, ein Statement abzugeben zu rassistischen Aussagen des Bundeskanzlers.

Ich halte das Zitat auch in meiner Nähe, um mich daran zu erinnern, dass ich selbst mehr bin als die Summe meiner Rassismuserfahrungen, und dass mein Ziel im Leben nie war, Rassismusexpertin zu werden. Das ist etwas, das nebenher passiert ist. Aus der Notwendigkeit heraus: in der Schule, der Uni, dem Kulturbetrieb und in meiner Freizeit.

Jemand sagt, dieses Land hätte keine Schwarze Geschichte: Ich habe mich mit anderen Schwarzen Deutschen zusammengetan, um sie sichtbar zu machen.

Jemand sagt, es gebe keine Schwarzen Schauspieler, und sie müssten darum tief in die rassistische Schminkkiste greifen und Blackface nutzen – und etliche Schwarze Kol­le­g*in­nen unterbrechen ihre eigene Arbeit, um zu beweisen, dass sie existieren, dann über Rassismus aufklären, dafür angegriffen werden, einen Shitstorm aushalten und am Ende noch weiße Kol­le­g*in­nen trösten, die die Diskussion nicht aushalten.

In dieser Zeit könnten wir unserer Arbeit nachgehen. Einfach Künst­le­r*in­nen sein, statt Schwarze Künst­le­r*in­nen mit unbezahltem Informationsauftrag, der nirgends vertraglich festgehalten wurde, aber doch erwartet wird.

Klar, dass unsere Kunst so weniger sichtbar bleibt als der Aktivismus, in den wir immer wieder hineingedrängt werden. An alle, die mich gefragt haben, wo mein Statement zur aktuellen Blackface-Debatte ist: Das war es. Alles Weitere habe ich in den letzten 15 Jahren dazu gesagt.

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Simone Dede Ayivi
Simone Dede Ayivi ist Autorin und Theatermacherin. Sie studierte Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis in Hildesheim. Aktuell arbeitet sie zu den Themen Feminismus, Antirassismus, Protest- und Subkultur.
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